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Geschäfts­leiter­haftung bei Schein­selbst­ständigkeit und illegaler Arbeit­nehmer­überlassung – Wann haften Geschäfts­leiter persönlich gegenüber dem Unter­nehmen?

Schein­selbst­ständigkeit und illegale Arbeit­nehmer­überlassung sind in vielen Branchen allgegenwärtig und somit für nahezu jedes Unternehmen ein rechtliches Problemfeld. Dabei treten Schein­selbstständige oftmals als „freie Mitarbeiter“ und damit Selbstständige auf, sind jedoch im sozial­versicherungs­rechtlichen Sinne tatsächlich abhängig Beschäftigte gemäß § 7 Abs. 1 SGB IV bzw. Arbeitnehmer im steuer­rechtlichen Sinne gemäß § 1 LStDV.

Auch der „Fremd­personal­einsatz“, d.h. die Überlassung von Mitarbeitern eines Unternehmens an einen Dritten zur Ausführung eines Werk- oder Dienstvertrags, kann seine Tücken haben und bei fehlerhafter Einschätzung schnell zur illegalen Arbeitnehmerüberlassung werden. Bei Betriebsprüfungen und/oder Lohnsteuer-Außenprüfungen kommt es dann oftmals dazu, dass die rechtliche Einordnung des Fremdpersonals anders bewertet wird und umfangreiche Nachforderungen betreffend Sozialversicherungsbeiträge und Lohnsteuer seitens der Sozialversicherungsträger und Finanzämter geltend gemacht werden. Hinzu kommen dann oftmals Säumniszuschläge sowie (Hinterziehungs-)Zinsen. Dies kann besonders für den Geschäftsleiter, der bei entsprechenden Pflichtverletzungen mit seinem Privatvermögen u.a. für Säumniszuschläge und (Hinterziehungs-)Zinsen gegenüber dem Unternehmen in der Haftung stehen kann, Größenordnungen annehmen, die von existenzieller Bedeutung sind.

Scheinselbstständigkeit umschreibt jenes Verhältnis, bei dem ein (vertraglich) als selbstständig bezeichneter Auftragnehmer nach objektiven Kriterien als abhängig Beschäftigter und/oder Arbeitnehmer eingestuft wird und dementsprechend sein Tätigkeitsverhältnis sozialversicherungs- sowie lohnsteuerpflichtig ist. Indizien hierfür sind die Eingliederung in die Arbeitsorganisation, die Weisungsgebundenheit gegenüber dem Auftraggeber, das mangelnde eigene Auftreten am Markt, sowie eine persönliche als auch wirtschaftliche Abhängigkeit des Auftragnehmers vom Auftraggeber. Die Abgrenzung Scheinselbstständigkeit zum „echten“ freien Mitarbeiterverhältnis bereitet oftmals erhebliche Schwierigkeiten. Entscheidend ist allerdings nicht, wie die Parteien den Vertrag benennen oder welche Regelungen darin getroffen wurden, sondern wie das Vertragsverhältnis in der Praxis tatsächlich gelebt wird. Ähnlich gelagert ist der „Fremdpersonaleinsatz“. Bei falscher Einordnung und daraus resultierender Scheinselbstständigkeit oder illegaler Arbeitnehmerüberlassung sind die Rechtsfolgen (u.a. die bereits genannten Zahlungsansprüche, etwaige arbeitsrechtliche Schutzrechte für den Auftragnehmer) für den Auftraggeber gravierend.

Doch auch der Geschäftsleiter steht in dieser Situation schnell im Mittelpunkt. Neben möglicherweise drohenden strafrechtlichen Folgen aufgrund des Vorenthalten/Veruntreuens von Arbeitsentgelt, § 266a StGB, kann ihn ein etwaiger Regressanspruch „seines“ Unternehmens treffen. Unternehmen sind im Rahmen der Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen und Lohnsteuer stets dazu verpflichtet, Regressansprüche gegenüber dem für die Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen und Lohnsteuer zuständigen Organ zu prüfen und gegebenenfalls durchzusetzen. Andernfalls droht dem zuständigen Aufsichtsgremium seit der BGH-Entscheidung „ARAG/Garmenbeck“ selbst eine Haftung. Besonders zu beachten ist auch der im Rahmen von gemeinnützigen Körperschaften geltende Grundsatz der ordnungsgemäßen Mittelverwendung gemäß § 55 Abs. 1 AO, nach welchem die Mittel der gemeinnützigen Körperschaft nur für satzungsmäßige Zwecke verwendet werden dürfen. Sofern die gemeinnützige Körperschaft Ansprüchen Dritter ausgesetzt ist, müssen die Organe der Körperschaft nach Erkennen von Verstößen die verantwortlichen Personen zur Rechenschaft ziehen, da andernfalls eine Mittelfehlverwendung im Sinne des § 55 Abs. 1 Nr. 3 AO vorliegen könnte und damit weiterer Ärger seitens der Finanzbehörden droht. 

Doch wann haftet der Geschäftsleiter denn nun? Die primären Anspruchsgrundlagen der Organinnenhaftung des Geschäftsleiters gegenüber dem Unternehmen ergeben sich dabei aufgrund der Organstellung und damit aus dem entsprechend anwendbaren (Gesellschafts-)Recht, wie etwa der § 43 Abs. 2 GmbHG im GmbH-Recht oder der § 93 Abs. 2 S. 1 AktG im Aktienrecht. Sofern sich dort keine speziellen Haftungsnorme finden, sind die allgemeinen Schadensersatznormen des BGB anzuwenden. Daneben gibt es stets noch konkurrierende Ansprüche aufgrund des Anstellungsverhältnisses des Geschäftsleiters (i.d.R. §§ 280, 611 BGB), die aber, sofern durchgreifend, grundsätzlich subsidiär zurücktreten, oder aus dem Deliktsrecht (insbesondere § 823 Abs. 1 und 2 (i.V.m. einem Schutzgesetz) BGB und § 826 BGB). Grundlage der Haftung oder auch „Stein des Anstoßes“ ist dabei stets eine Pflichtverletzung des Geschäftsleiters. Dieser hat vielerlei Pflichten im Rahmen seiner Tätigkeit für das Unternehmen zu berücksichtigen, wobei sich diese generell in Sorgfalts- und Treuepflichten unterteilen lassen. Innerhalb seiner Sorgfaltspflicht ist er auch zur ordnungsgemäßen Unternehmensleitung verpflichtet, hieraus ergibt sich insbesondere die Pflicht zur Beachtung des äußeren Handlungsrahmens und damit eine Legalitätspflicht. Dazu zählt auch sogenannte Pflichten im öffentlichen Interesse zu erfüllen bzw. deren Erfüllung zu sichern. Die Abgabe von Sozialversicherungsbeiträgen sowie Zahlung der Lohnsteuer ist eine solche Pflicht im Außenverhältnis. Verletzt das Unternehmen derartige Pflichten, so liegt keine ordnungsgemäße Geschäftsführung des Geschäftsleiters vor.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs indiziert dabei jeder Gesetzesverstoß eine Pflichtverletzung. Grundsätzlich bestünde zwar die Möglichkeit für den Geschäftsleiter das Aufgabenfeld „Abgabe von Sozialversicherungsbeiträgen sowie Lohnsteuer“ an sorgfältig ausgewählte und entsprechend qualifizierte Mitarbeiter zu delegieren. Dennoch trifft ihn auch dann eine Restzuständigkeit in Form einer Überwachungs- und Aufsichtspflicht. Um diese wahrzunehmen,müssen effiziente unternehmensinterne Informations-, Organisations- und Kontrollstrukturen bestehen, beispielsweise durch Einrichtung eines auf Schadensprävention und Risikokontrolle angelegtes Compliance-Management-Systems („CMS“). Spätestens bei Kenntniserlangung oder fahrlässiger Nichtkenntnis der rechtswidrigen Handlungen der Delegierten muss der Geschäftsleiter aber eingreifen. Liegt eine Pflichtverletzung vor, stellt sich im Rahmen des Verschuldens und einer etwaigen Fahrlässigkeit häufig die Frage, ob der Geschäftsleiter die Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes beachtet hat. Danach ist die Sorgfalt anzuwenden, die ein ordentlicher Geschäftsmann in leitender Position bei selbständiger treuhänderischer Wahrnehmung fremder Vermögensinteressen in dem betreffenden Geschäftszweig einzuhalten hat.

Bei derartigen unternehmerischen Entscheidungen billigt die Rechtsprechung dem Geschäftsleiter grundsätzlich einen weiten Entscheidungsspielraum zu, sofern der Geschäftsleiter bei einer unternehmerischen Entscheidung vernünftigerweise annehmen durfte, auf der Grundlage angemessener Information zum Wohle der Gesellschaft zu handeln, vgl. § 93 Abs. 1 S. 2 AktG, sogenanntes Business Judgement Rule („BJR“). Eine Anwendung scheidet jedoch stets aus, wenn es um zwingende gesetzliche Pflichten wie die Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen und Lohnsteuer geht, denn hierbei besteht kein Ermessensspielraum des Geschäftsleiters. Hingewiesen sei in diesem Zusammenhang noch darauf, dass eine etwaige Entlastung des Geschäftsleiters im Rahmen der Aufstellung des Jahresabschlusses nicht unbedingt einen Verzicht des Unternehmens auf die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen betreffend Scheinselbstständigkeit und illegaler Arbeitnehmerüberlassung beinhalten muss. Dies folgt aus der im Einzelfall wohl fehlenden Erkennbarkeit von derartigen Sachverhalten ausgehend von den vorgelegten Unterlagen im Rahmen des Jahresabschlusses. Handelt der Geschäftsführer jedoch aufgrund einer Gesellschafterweisung/Gesellschafterbeschlusses, ist die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gegenüber ihm ausgeschlossen. Auf das Mitverschulden eines anderen Gesellschaftsorgans (z.B. Aufsichtsrat oder Beirat) kann sich der Geschäftsleiter allerdings nicht berufen, da den jeweiligen Organen unterschiedliche Pflichten obliegen. 

Doch wofür muss ein Geschäftsleiter bei der Nichtabführung von Sozialversicherungsbeiträgen und Lohnsteuern letztendlich zahlen? Ausgehend von der sogenannten Differenzhypothese kommt als ersatzfähiger Vermögensschaden des Unternehmens insbesondere die zusätzliche Zahlung von Säumniszuschlägen gemäß § 24 SGB IV und § 240 AO sowie etwaige Hinterziehungszinsen nach § 235 AO für die nicht fristgemäße Abführung der Sozialversicherungsbeiträge und Lohnsteuer in Betracht. Daneben stehen jegliche weiteren Schäden aufgrund des Einsatzes von Scheinselbstständigen oder illegalen Leiharbeitnehmern etwa durch Abfindungen, Kosten im Zusammenhang mit Kündigungsschutzklagen oder wegen Weiterbeschäftigung dieser. Nicht ersatzfähig als Schaden sind jedoch die Nachforderungen für nicht entrichtete Sozialversicherungsbeiträge und Lohnsteuer als solche, da diese auch bei ordnungsgemäßem Verhalten angefallen wären (sogenannte „Sowieso-Kosten“). Ist der Schaden festgestellt, ist auf die Verjährungsfristen der Schadensersatzansprüche besonderes Augenmerk zu legen. Generell greift hier die regelmäßige Verjährungsfrist von drei Jahren, §§ 195, 199 Abs. 1 BGB; diese beginnt mit dem Schluss des Jahres, in dem der betreffende Anspruch entstanden, also fällig ist und das Unternehmen bzw. dessen Vertretungsberechtigte insbesondere von den anspruchsbegründenden Umständen Kenntnis erlangt oder hätte erlangen müssen. Diese wird allerdings dann verdrängt, sofern speziellere Verjährungsfristen aus dem jeweiligen Gesellschaftsrecht eingreifen (so beispielsweise im GmbH- oder Aktienrecht § 43 Abs. 4 GmbHG bzw. § 93 Abs. 6 AktG (je fünf Jahren ab Entstehung des Anspruchs). Eine Verlängerung bzw. Verkürzung der jeweiligen Verjährungsfristen im Gesellschaftsvertrag sind jedoch stets denkbar. Als verjährungshemmende Maßnahmen durch das Unternehmen kommen etwa die Zustellung eines Mahnbescheides oder Verhandlungen mit dem Geschäftsleiter über etwaige Schadenersatzansprüche in Betracht. 

Ergänzend sei noch darauf hingewiesen, dass bei einem vorsätzlichen Handeln des Geschäftsleiters in Bezug auf die Nichtabführung der Sozialversicherungsbeiträge nach § 266a StGB im Außenverhältnis selbstverständlich auch eine persönliche Haftung gegenüber den Einzugsstellen betreffend die nicht gezahlten Sozialversicherungsbeiträge nach § 823 Abs. 2 BGB in Betracht kommt. Gleiches gilt in Bezug auf die Lohnsteuer, auch hier haftet der Geschäftsleiter bei Vorsatz oder groben Fahrlässigkeit persönlich gegenüber den Finanzbehörden, § 69 AO. Die Einzugsstellen sowie Finanzbehörden werden derartige Ansprüche gegen den Geschäftsleiter wohl insbesondere dann realisieren, wenn seitens des Arbeitgebers keine Nachzahlung erfolgt.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass, angesichts des hohen Haftungsrisikos – und auch der etwaigen strafrechtlichen Konsequenzen – für den Geschäftsleiter, eine genaue Überprüfung der Beschäftigungsverhältnisse von „freien Mitarbeitern“ sowie des „Fremdpersonaleinsatzes“ immer angebracht und notwendig ist. Dabei bietet sich für den Geschäftsleiter vor allem auch die Implementierung eines sorgsam ausgearbeiteten Compliance-Management-Systems an, welches innerhalb der Unternehmensstruktur mögliche Risiken und Verstöße aufdecken bzw. verhindern kann. Auch etwa die Verpflichtung eines freien Mitarbeiters zur Durchführung eines Statusfeststellungsverfahren oder die Beantragung eines solchen durch das Unternehmen vor Einstellung kann ein gangbarer Weg sein, um etwaige Risiken des Themenkreises freie Mitarbeiter zu eliminieren. Außerdem ist es in Zweifelsfällen immer empfehlenswert ergänzend rechtliche Beratung heranzuziehen.

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