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Wachstumsmarkt E-Mobilität

Marktkapitalisierung vs. Unternehmenswert

Die Automobilindustrie befindet sich seit mehreren Jahren in einem Strukturwandel. Derzeit nimmt die Bedeutung von konventionellen Fahrzeugantrieben mit Benzin- und Dieselmotoren spürbar ab und die Bedeutung von alternativen Antrieben deutlich zu. In diesem Zusammenhang wächst insbesondere der Markt für Fahrzeuge mit elektrischem Antrieb. Diese Entwicklung resultiert vor allem aus dem internationalen Ziel, den globalen Kohlenstoffdioxidausstoß zu reduzieren und der damit einhergehenden politischen Förderungen sowie der gestiegenen Akzeptanz von alternativen Antrieben in der Gesellschaft.

Wachstum in der E-Mobilität

Der Markt für Elektroautos war im Gegensatz zum Markt für Fahrzeuge mit konventionellen Antrieben in den letzten Jahren weltweit geprägt von einem sehr starken Wachstum. So stieg der weltweite jährliche Absatz von rd. 6.000 Fahrzeugen im Jahr 2010 auf über 2,3 Mio. Fahrzeuge im Jahr 2020 an. Dies entspricht einer durchschnittlichen jährlichen Wachstumsrate (Compound-Annual-Growth-Rate, CAGR) von über 80 %.

Das starke Absatzwachstum von Elektroautos seit Beginn des Jahrtausends ist vor allem eine Folge von technischen Innovationen bei den Akkumulatoren, einer besseren Ladeinfrastruktur sowie den geänderten politischen Rahmenbedingungen. Die geänderten politischen Rahmenbedingungen spiegeln sich beispielsweise in Deutschland seit 2015 im Elektromobilitätsgesetz wider. Mit dem Gesetz wurde die Basis für eine Vielzahl von Förderungen geschaffen. Halter eines Elektroautos sind von der Kfz-Steuer befreit, Arbeitnehmer müssen einen elektrischen Dienstwagen nur mit einem wesentlich geringeren Teil des sonst fälligen Bruttolistenpreises versteuern und seit 2020 senkt der sogenannte Innovationsbonus die Anschaffungskosten eines elektrisch betriebenen PKW um bis zu EUR 9.000. Zudem ist aktuell das Laden des Elektroautos beim Arbeitgeber steuerfrei. Neben den monetären Förderungen beinhaltet das Gesetz auch Aspekte wie Sondergenehmigungen im Straßenverkehr für Elektroautos und die Förderung der Ladeinfrastruktur.

Marktpotenzial für Elektroautos

Das Potenzial des Markts für Elektroautos hängt neben der Entwicklung der politischen Rahmenbedingungen insbesondere auch vom weiterhin steigenden (Umwelt-)bewusstsein der Endverbraucher und dem damit verbundenen Interesse an einem klimaschonenden Antrieb sowie den technischen Innovationen beim Antrieb und der Batterie ab.

Aktuelle Bestrebungen der EU-Kommission, Euro-7-Abgasnormen EU-weit im Jahr 2025 in Kraft treten zu lassen, stellen traditionelle Automobilhersteller, die aktuell noch überwiegend Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor produzieren und vertreiben, vor enorme wirtschaftliche und technische Herausforderungen. Falls die Pläne der EU-Kommission – so wie vorgesehen – umgesetzt werden, dürfte die überwiegende Mehrzahl der Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor nach heutigem Stand der Technik in 2025 EU-weit nicht mehr neu zugelassen werden. Für Elektroautos hingegen stellen die Bestrebungen der EU-Kommission einen signifikanten Wachstumsmotor dar. Insgesamt ist aufgrund der politischen, technischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen ein stetiger Anstieg des Anteils an Elektroautos am Gesamtmarkt zu erwarten.

Bewertungen am Kapitalmarkt

Die bestehenden Erwartungen im Zusammenhang mit der Elektromobilität spiegeln sich aktuell auch in der Bewertung einiger in diesem Markt tätigen Unternehmen am Kapitalmarkt wider. Der gemessen an der Marktkapitalisierung mit Abstand wertvollste Automobilhersteller ist derzeit mit Tesla sogar ein Vertreter der E-Mobilität. Andere börsennotierte Hersteller von Elektroautos haben allein in den letzten zwölf Monaten teilweise Kursanstiege von mehreren 100 % verzeichnen können. In diesem Zusammenhang beläuft sich die aktuelle Marktkapitalisierung nicht selten auf mehr als das Hundertfache der ausgewiesenen Gewinne oder auch Cashflows der betreffenden Unternehmen. Darunter befinden sich auch Unternehmen, die bislang noch kein einziges Fahrzeug produziert haben. Aber auch bei den Unternehmen, die bereits Elektroautos produzieren und verkaufen, sind die Verkaufszahlen derzeit noch weit entfernt von den Verkaufszahlen konventioneller Automobilhersteller.

In diesem Zusammenhang stellen sich bezüglich der Unternehmensbewertung mehrere Fragen. Zum einen ist fraglich, ob und wann der Moment kommt, wo die bestehenden Börsenbewertungen durch fundamentale Kennzahlen der jeweiligen Unternehmen gerechtfertigt sein werden. Letztlich bemisst sich vor dem Hintergrund rein monetärer Interessen der Unternehmenswert auf Basis der ausschüttbaren finanziellen Überschüsse respektive Cashflows.

Zum anderen wird auch unabhängig vom Markt für E-Mobilität die Frage aufgeworfen, inwiefern es sachgerecht ist, die Marktkapitalisierung respektive die Einschätzung der Gesamtheit der Investoren eines bestimmten Unternehmens, als geeigneten Maßstab für die Bestimmung des Unternehmenswerts heranzuziehen.

Nicht zuletzt im Zusammenhang mit aktienrechtlichen Strukturmaßnahmen bzw. bei der Bestimmung der Abfindung von Minderheitsaktionären spielt der Börsenkurs eines Unternehmens regelmäßig eine Rolle. Der Gesetzgeber hält sich bei der Frage nach der zutreffenden Bewertungsmethode im Zusammenhang mit aktienrechtlichen Strukturmaßnahmen grundsätzlich bedeckt. Sowohl das AktG als auch das UmwG fordern lediglich eine „angemessene“ Abfindung. Das Gesetz schreibt nicht vor, dass die Unternehmensbewertung nach einer bestimmten Methodik zu erfolgen hat, bspw. nach dem Ertragswertverfahren, einem DCF-Verfahren, einer Multiplebewertung oder gar zum Börsenkurs.

In der Praxis steht der Berater damit regelmäßig vor der Herausforderung, je nach Bewertungsanlass einen sachgerechten Unternehmenswert zu bestimmen und in diesem Zusammenhang zu entscheiden, welche Bewertungsmethode den „wahren“ Unternehmenswert am besten zum Ausdruck bringt. Grundsätzlich ist die Einschätzung des Marktes bzw. von fremden Dritten ein guter Indikator. So stellt auch der Steuergesetzgeber zur Bestimmung des gemeinen Werts von Wertpapieren, die am Bewertungsstichtag an einer deutschen Börse zum Handel im regulierten Markt zugelassen sind, auf den niedrigsten am Stichtag notierten Kurs ab. Für lediglich im Freiverkehr gehandelte Aktien gilt das analog. Insofern bleibt hier kein Raum, den Unternehmenswert bzw. gemeinen Wert nicht auf Basis der Marktkapitalisierung zu bestimmen.

Angesichts der im Bereich der E-Mobilität bestehenden hohen Börsenbewertungen sollte stets hinterfragt werden, wie nachhaltig die Bewertung der betreffenden Unternehmen am Kapitalmarkt ist. Mit den jeweils hohen Bewertungen geht auch eine sehr hohe Volatilität mit einem entsprechenden Risiko einher. Auch Kurseinbrüche im hohen zweistelligen Prozentbereich innerhalb kürzester Zeit sind nicht ausgeschlossen. Weshalb ein Unternehmen plötzlich nur noch halb so viel Wert sein soll, ohne, dass sich an den gesamten Rahmenbedingungen des betreffenden Unternehmens etwas geändert hat, ist fraglich.

Bezüglich der Eignung des Börsenkurses zur Bestimmung des (Gesamt-)Unternehmenswerts besteht in Literatur und Praxis nicht unbegründet keine einheitliche Meinung. Die Argumente für die ablehnende Haltung gegenüber dem Börsenkurs zur Ermittlung des Unternehmenswerts sind diesbezüglich vielfältig, korrespondieren aber im Wesentlichen mit der vom BGH bereits im Jahr 1967 getroffenen Aussage: „[…] (Der Börsenkurs) ergibt sich aus dem im Augenblick der Kursbildung vorhandenen Verhältnis von Angebot und Nachfrage, das von der Größe und Enge des Marktes, von zufallsbedingten Umsätzen, von spekulativen Einflüssen und sonstigen, nicht wertbezogenen Faktoren wie politischen Einflüssen, Gerüchten, Informationen, psychologischen Momenten oder allgemeinen Tendenzen abhängt. Außerdem unterliegt der Börsenkurs unberechenbaren Schwankungen und Entwicklungen, wie die Aktienkurse der letzten Jahre bereits deutlich gemacht haben.“ (BGH, 30.3.1967 – II ZR 141/64).

Fazit

Der Börsenkurs kann zufällig mit dem quotalen (Gesamt-)Unternehmenswert der betreffenden Gesellschaft übereinstimmen, muss es aber nicht zwingend. Aus ökonomischer Perspektive sprechen gewichtige Argumente gegen den Börsenkurs als geeigneten Gradmesser für den quotalen (Gesamt-)Unternehmenswert. Es wäre aber verkürzt, den Börsenkurs im Rahmen von Unternehmensbewertungen vollkommen außer Betracht zu lassen. Im Bereich der E-Mobilität sind die hohen Bewertungen durchaus untermauert von den allgemeinen globalen Tendenzen im Bereich der E-Mobilität. Ungewiss bleibt aber, welche Unternehmen sich langfristig am Markt durchsetzen werden, sodass der Börsenkurs im Vergleich zu einer fundamentalen Unternehmensbewertung basierend auf abgezinsten Cashflows einen hohen Anteil an Spekulationen beinhaltet.

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