Am 28.05.2021 hat der Bundesrat dem Gesetz zur Modernisierung der Entlastung von Abzugsteuern und der Bescheinigung von Kapitalertragsteuer (Abzugsteuerentlastungsmodernisierungsgesetz oder auch AbzStEntModG) zugestimmt. Kern des Gesetzes ist die Reformierung des § 50d Abs. 3 EStG. Es handelt sich bei der Vorschrift um eine sogenannte Anti-Treaty-Shopping-Regelung. Sie soll Missbrauch von Abkommensvorteilen bzw. Vorteilen nach der Mutter-Tochter-Richtlinie durch Einschaltung von Zwischengesellschaften vermeiden.
1. Hintergrund der Neuregelungen
Die Fassungen des § 50d Abs. 3 EStG von 2007 und 2012 gingen weit über den eigentlichen Zweck der Missbrauchsvermeidung hinaus. Dies war mit ein Grund dafür, dass der EuGH die Vorschrift in beiden Fassungen als EU-rechtswidrig angesehen hat. In der Folge hat die Finanzverwaltung nach den Maßgaben eines BMF-Schreiben (vgl. Schreiben vom 04.04.2018, BStBl. I 2018, 589) die Vorschrift nur noch in modifizierter Form angewendet. Die nunmehr erfolgte Neuregelung ließ schon seit mehreren Jahren auf sich warten. Neben der EuGH-Rechtsprechung beruhen die umfangreichen Änderungen auf der Anti-Tax-Avoidance-Directive („ATAD“, EU-Richtlinie zur Bekämpfung von Steuervermeidungspraktiken) und Regelungen auf der OECD-Ebene.
Unmittelbar gilt § 50d Abs. 3 EStG nur noch für die Kapitalertragsteuerentlastung und den Steuerabzug gemäß § 50a EStG auf der Grundlage von DBA. Hinsichtlich der Entlastung aufgrund der Mutter-Tochter-Richtlinie (§ 43b EStG) und der Zinsrichtlinie (§ 50g EStG) wird in diesen Vorschriften auf den § 50d Abs. 3 EStG verwiesen.
Die Vorschriften zum Steuerabzug und zum Freistellungsverfahren, welche bisher in § 50d Abs. 1 und Abs. 2 EStG geregelt waren, sind in dem (zwischenzeitlich unbelegten) § 50c EStG zusammengefasst. Hier gibt es eine Reihe von Neuerungen hinsichtlich der Antragstellung beim Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) und den Steuerbescheinigungen.
2. Neufassung des § 50d Abs. 3 EStG
Der neue § 50d Abs. 3 EStG ist vom wörtlichen Umfang wesentlich gestrafft und gliedert sich in vier Elemente:
- Test der persönlichen Entlastungsberechtigung: Prüfung, ob der Anteilseigner den Entlastungsanspruch nach der fraglichen Anspruchsnorm auch ohne Einschaltung der Gesellschaft/Körperschaft hätte.
- Test der sachlichen Entlastungsberechtigung: Prüfung, ob die Einkunftsquelle einer wirtschaftlichen Tätigkeit der Gesellschaft/Körperschaft dient.
- Sogenannter Principal-Purpose-Test: Prüfung, ob die Erzielung steuerlicher Vorteile einer der Hauptzwecke der Einschaltung der Gesellschaft/Körperschaft waren.
- (Eingeschränkter) Börsentest.
Persönliche Entlastungsberechtigung
Die Vorschrift stellt anders als bisher nicht mehr auf eine „ausländische Gesellschaft“ ab, sondern auf „Körperschaften, Personenvereinigungen und Vermögensmassen“ und vermeidet damit etwaige Umgehungsmöglichkeiten durch z.B. Stiftungen und Trusts. Da auch das Merkmal „ausländisch“ fehlt, umfasst die Vorschrift auch unbeschränkt steuerpflichtige doppelansässige Körperschaften.
Sachliche Entlastungsberechtigung
Im Hinblick auf die sachliche Entlastungsberechtigung wird ein Missbrauch vermutet, wenn kein wesentlicher Zusammenhang zwischen der Einkunftsquelle und der wirtschaftlichen Tätigkeit der Gesellschaft besteht. Anders als bisher geht es nicht mehr um eine abstrakte Prüfung der Bruttoerträge der ausländischen Gesellschaft. Vielmehr muss als erste Teilfrage geprüft werden, ob die Körperschaft eine Wirtschaftstätigkeit ausübt und in einer zweiten Teilfrage, ob ein wesentlicher Zusammenhang dieser Wirtschaftstätigkeit mit eben dieser Einkunftsquelle besteht.
Der Begriff „Wirtschaftstätigkeit“ wird nicht definiert. Aus der Gesetzesbegründung geht jedoch hervor, dass das bloße Erzielen und Weiterleiten von Einkünften, d.h. eine passive Beteiligungsverwaltung die Voraussetzungen nicht erfüllt; die aktive Beteiligungsverwaltung hingegen schon.
Der wesentliche Zusammenhang zwischen Wirtschaftstätigkeit und Einkunftsquelle fehlt, wenn die Beteiligung an einer inländischen Gesellschaft keine nachvollziehbare wirtschaftliche Funktion im Rahmen ihrer Tätigkeit einnimmt.
Das Vorliegen einer Wirtschaftstätigkeit wird zudem ausgeschlossen, wenn es an einem angemessen eingerichteten Geschäftsbetrieb fehlt. Diese Formulierung stellt ein „Überbleibsel“ aus der alten Vorschrift dar. Aus der Streichung des Satzes 3 in § 50d Abs. 3 EStG a.F. ergibt sich nunmehr jedoch, dass die Übertragung von wesentlichen Tätigkeiten auf Dritte (Stichwort „Managementvertrag“) nicht mehr per se eine Wirtschaftstätigkeit ausschließt.
Principal Purpose Test
Die die Entlastungsberechtigung beanspruchende Gesellschaft muss nachweisen, dass keiner der Hauptzwecke ihrer Einschaltung die Erlangung eines steuerlichen Vorteils ist. Es handelt sich um einen sogenannten (umgekehrten) Principal-Purpose-Test. Das Nichtbestehen eines steuerlichen Motivs im Sinne einer „Negativtatsache“ lässt sich jedoch schwerlich beweisen. Zudem sollen steuerliche Vorteile, welche sich im Ausland verwirklichen auch von dieser Bestimmung umfasst werden. Damit geht der Gesetzgeber weit über die Anforderungen des Art. 6 Abs. 1 ATAD-Richtlinie (Verhinderung unangemessener Gestaltungen zur Erlangung von steuerlichen Vorteilen) hinaus. Hinter dieser Voraussetzung verbergen sich also wesentliche praktische Probleme. Ein BMF-Schreiben wird hoffentlich größere Klarheit schaffen.
Eingeschränkter Börsentest
Auch ohne erfolgreich geführten Negativnachweis hat die Körperschaft Anspruch auf Entlastung, wenn mit der Hauptgattung ihrer Anteile ein wesentlicher und regelmäßiger Handel an einer anerkannten Börse stattfindet. Diese sogenannte Börsenklausel soll jedoch laut Gesetzesbegründung ausschließlich für den unmittelbaren Anteilseigner gelten. Darin steckt eine deutliche Verschärfung der bisherigen Rechtslage.
Rechtsfolgen des neuen § 50d Abs. 3 EStG
Im Vergleich zur allgemeinen Missbrauchsvermeidungsvorschrift § 42 AO sind die Rechtsfolgen des § 50d Abs. 3 EStG schärfer. Während bei § 50d Abs. 3 EStG der Entlastungsanspruch von 10 % (zuzüglich Solidaritätszuschlag) bis zu 25 % (zuzüglich Solidaritätszuschlag) entfällt, sieht § 42 AO nur eine Besteuerung entsprechend einer angemessenen steuerlichen Gestaltung vor, was im Regelfall zu einer Besteuerung von bis 15 % (zuzüglich Solidaritätszuschlag) führt. In Konzernsachverhalten ist aufgrund des Beteiligungsprivilegs der effektive Steuersatz noch viel niedriger. Weder die EuGH-Rechtsprechung noch die ATAD fordert diese harten Rechtsfolgen.
Satz 3 des § 50d Abs. 3 EStG klärt nun auch die bisher fraglichen Konkurrenzen zu anderen Vorschriften. § 42 AO und § 50d Abs. 3 EStG sollen nebeneinander gelten. Außerdem soll § 50d Abs. 3 EStG auch einschlägig sein, wenn das jeweils anwendbare DBA eine eigene, abschließende Missbrauchsvermeidungsvorschrift enthält.
Anwendung in offenen Fällen vorbehaltlich Günstigerprüfung
Die neue Regelung soll auf grundsätzlich in allen Fällen seit Inkrafttreten des AbzStEntModG (09.06.2021) anwendbar sein. Allerdings kann sich der Steuerpflichtige auf die Fassung zum Zeitpunkt des Zuflusses der betreffenden Einkünfte berufen, wenn nach dieser eine Entlastung möglich ist. Insoweit ist aber unklar, ob in diesen Fällen die Regelungen des BMF-Schreibens vom 04.04.2018 greifen, welche im Ergebnis häufig weniger restriktive Anforderungen stellen als die die Neufassung des § 50d Abs. 3 EStG.
3. Entlastung vom Steuerabzug § 50c EStG
Auch zukünftig hat grundsätzlich ein Steuerabzug zu erfolgen, auch wenn das deutsche Besteuerungsrecht beschränkt sein sollte. Zukünftig gibt es nur noch das sogenannte Freistellungsverfahren (Unterbleiben des Steuerabzugs aufgrund von Freistellungsbescheid) und das Erstattungsverfahren (Erstattung der einbehaltenen Steuer aufgrund Freistellungsbescheid). Das sogenannte Kontrollmeldeverfahren wurde abgeschafft.
Wie bisher beginnt die Geltungsdauer der Freistellungsbescheinigung auch zukünftig frühestens ab dem Tag, an dem der Antrag beim Bundeszentralamt für Steuern eingeht.
Bislang konnte die Kapitalertragsteuer teilweise auch noch nach Abführung beim Schuldner der Kapitalerträge zurückgeholt werden. Diese Möglichkeit besteht nicht mehr. Es bleibt dabei, dass nur der Gläubiger der Kapitalerträge die Freistellungsbescheinigung beim Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) beantragen kann.
Anstatt des sogenannten Kontrollmeldeverfahrens gilt das Freistellungsverfahren nunmehr auch bei Vergütungen aus Rechteüberlassungen (§ 50a Abs. 1 Nr. 3 EStG), wenn die Entlastung auf einem DBA beruht und die Vergütungen von einem Schuldner EUR 5.000 im Jahr nicht übersteigen. Dieser muss selbst prüfen, ob die Voraussetzung der Freistellung erfüllt ist. Unabhängig von einer Freistellung muss der Schuldner für die Abzugsteuer immer eine Steueranmeldung abgeben.
Die Voraussetzungen für das Erstattungsverfahren sind die tatsächliche Entrichtung der Abzugsteuer, beschränkte Steuerpflicht des Gläubigers und eine fehlende vorrangige Anrechnungsmöglichkeit im Veranlagungsverfahren. Selbstverständlich ist eine Steuerbescheinigung nach § 45a Abs. 2 und Abs. 2a EStG einzureichen. Erfreulich ist die Verlängerung der Frist für den Erstattungsantrag von sechs Monaten auf ein Jahr. Diese Neuregelungen gelten für alle Kapitalerträge, welche nach dem 31.12.2021 zufließen.
Beide Verfahren werden digitalisiert. Sowohl Antragstellung als auch Erteilung einer Freistellungsbescheinigung oder eines Erstattungsbescheids sollen ab 01.01.2023 in elektronischer Form erfolgen. Zu begrüßen ist, dass die für die Antragstellung benötigte Ansässigkeitsbescheinigung nicht mehr auf dem deutschen amtlichen Vordruck erfolgen muss. In der Vergangenheit hat dies immer wieder zu praktischen Problemen geführt, weil ausländische Behörden ihre eigenen Vordrucke verwenden wollten.
4. Anmeldung und Bescheinigung der Kapitalertragsteuer
Vor dem Hintergrund der Erfahrungen mit den Cum Ex- und Cum/Cum-Fällen werden Regelungen zur Anmeldung und Bescheinigung von Kapitalertragsteuern mit Wirkung ab VZ 2024 umfangreich reformiert.
Der Gesetzgeber sieht eine Ergänzung um einen § 45a Abs. 2a EStG vor. Demnach sollen für Kapitalerträge aus Aktien aus Girosammelverwahrung und Genussscheinen keine Steuerbescheinigungen nach § 45a Abs. 2 Satz 1 EStG mehr ausgestellt werden, wenn der Gläubiger beschränkt steuerpflichtig ist.
Der Gläubiger kann nun verlangen, dass die erforderlichen Angaben einer Steuerbescheinigung nach § 45b Abs. 5 EStG direkt elektronisch an das BZSt übermittelt werden. So kann die Bescheinigung direkt für einen Erstattungsantrag berücksichtigt werden.
Auch die Haftung des Ausstellers für fehlerhafte Steuerbescheinigungen wird verschärft (§ 45a Abs. 7 EStG). Sie kann auch nicht mehr in klar definierten Fällen abgewendet werden, z.B. bei falschen Angaben des Gläubigers oder erfolgloser Rückforderung der Bescheinigung und Mitteilung an das BZSt. Die Haftung des Ausstellers tritt neben diejenige des Schuldners. Dem Aussteller bleibt in diesen Fällen nur der zivilrechtliche Regress beim Gläubiger. Mit § 45b EStG wird für bestimmte Kapitalerträge wie girosammelverwahrte Aktien eine zusätzliche Bescheinigung gefordert, welche Voraussetzung für die Erstattung ist. Durch die Erfassung von einer Vielzahl von Daten und vor allem einer Ordnungsnummer zur eindeutigen Zuordnung von Kapitalerträgen und Steuerbescheinigung sollen künftigen Missbräuchen vorgebeugt werden.
Fazit:
Auf den ersten Blick wirkt der neue § 50d Abs. 3 EStG einfacher, aber diese Wahrnehmung täuscht. Der Tatbestand der Vorschrift ist nun deutlich subjektiver, weil der EuGH bei der alten Regelung ja gerade die fehlende Möglichkeit zur Widerlegung der Missbrauchsvermutung moniert hat. Im Ergebnis bringt dies aber erhebliche Rechtsunsicherheiten mit sich. Ein „klärendes“ BMF-Schreiben wird sehnsüchtig erwartet. Die Digitalisierung der Antragstellung und insbesondere auch die unmittelbare elektronische Übermittlung der Steuerbescheinigung an das BZSt sollten jedoch die Effizienz der Prozesse für alle Beteiligten wohl deutlich steigern.