Nachdem die EZB bereits im Juli 2022 einen historischen Schritt wagte und die Leitzinsen erstmals seit über zehn Jahren wieder anhob, kommt jetzt mit Wirkung zum 14.09.2022 innerhalb kurzer Zeit ein weiterer Anstieg der Leitzinsen um weitere 0,75 %-Punkte. Damit erreicht der Leitzinssatz (Hauptrefinanzierungsgeschäft) per 14.09.2022 ein Niveau von 1,25 %. Weitere Erhöhungen sind nicht ausgeschlossen.
Das Statistische Bundesamt prognostiziert, dass sich die Inflationsrate in Deutschland im August 2022 voraussichtlich auf 7,9 % im Vergleich zum Vorjahresmonat belaufen wird. Damit ist die Inflationsrate weiterhin auf einem Rekordniveau. Im gesamten Euroraum ist die Lage vergleichbar. Eurostat schätzt die Inflation im Euroraum im August 2022 auf 9,1 %.
Der EZB-Rat hat erkannt, dass die Inflation nach wie vor deutlich zu hoch ist und voraussichtlich für längere Zeit über dem Zielwert von 2,0 % bleiben wird. Aus diesem Grund hat der EZB-Rat beschlossen, die drei Leitzinssätze der EZB um jeweils 0,75%-Punkte mit Wirkung zum 14.09.2022 anzuheben. Der EZB-Rat geht auf Grundlage seiner aktuellen Einschätzung davon aus, dass er die Zinsen in den nächsten Sitzungen weiter erhöht, um die Nachfrage zu dämpfen und dem Risiko einer andauernden Aufwärtsverschiebung der Inflationserwartungen vorzubeugen.
Getrieben wird die Inflation weiterhin von stark steigenden Energie- und Nahrungsmittelpreisen, dem in einigen Sektoren herrschenden Nachfragedruck infolge der Wiederöffnung der Wirtschaft sowie von Lieferengpässen. Der Preisdruck hat in der gesamten Wirtschaft weiterhin an Stärke und Breite gewonnen. Auf kurze Sicht könnte die Inflation zudem nach Einschätzung der EZB weiter anziehen. Ob die EZB ihr Ziel vor dem Hintergrund der eigentlichen Treiber der Inflation (insbesondere Energie und Lebensmittel) erreichen kann, scheint fraglich. Fest steht, dass es schwierig sein dürfte, die Nachfrage nach Lebensmitteln und Energie zu dämpfen. Das generelle Konsumklima ist bereits auf einem sehr niedrigen Niveau und die Nachfrage nach Konsumgütern entsprechend gering. Insofern ist davon auszugehen, dass weniger eine nachfrage- als eine angebotsseitige Inflation vorherrscht. Dieser aktuellen Inflation könnte daher mit einer noch weiter gedämpften Nachfrage im Zweifel nicht viel entgegengebracht werden.
Der EZB-Rat geht davon aus, dass die Inflation wieder sinkt, wenn die derzeitigen Inflationstreiber mit der Zeit nachlassen und die Normalisierung der Geldpolitik auf die Wirtschaft und die Preisbildung durchschlägt. Problematisch dabei ist, dass es kurz- und auch mittelfristig höchstwahrscheinlich nicht gelingen wird, die Inflation allein mit den geldpolitischen Instrumenten der EZB in den Griff zu bekommen. Selbst die EZB hat ihre Projektionen für die Inflation deutlich nach oben korrigiert. Die EZB rechnet derzeit mit durchschnittlichen Inflationsraten von 8,1 % für 2022, 5,5 % für 2023 und 2,3 % für 2024.
In der Folge steht die Wirtschaft Deutschlands und des Euroraums vor einem Zeitraum von rund zwei Jahren oder möglicherweise mehr, in dem sich die erhofften positiven Effekte der Leitzinserhöhungen noch nicht niederschlagen (insbesondere Absinken der Inflationsrate auf das Zielniveau von 2,0 %), die möglichen negativen Folgen, aber kurzfristig eintreten. Zu den möglichen negativen Folgen, die sich bereits jetzt abzeichnen, gehören unter anderem die steigenden Kosten der Fremdfinanzierung und die damit einhergehende Drosselung der Wirtschaftsleistung. Ferner ist zu beobachten, dass trotz steigender Zinsen auf dem Anleihenmarkt auch die erwarteten Eigenkapitalrenditen an den Aktienmärkten steigen. Steigende Eigenkapitalrenditen bedeuten höhere Eigenkapitalkosten, wodurch Unternehmenswerte noch weiter unter Druck geraten könnten.
Insgesamt könnte die EZB mit der weiteren Anhebung der Leitzinsen eine Rezession riskieren, weil das erhoffte Absinken der Inflationsrate ausbleibt, die Kosten für die Wirtschaft, unter anderem um Investitionen zu tätigen, aber in die Höhe klettern. Unternehmen sollte sich darauf einstellen, dass die Zinspolitik der EZB im Zweifel kein geeignetes Instrument darstellt, um beispielsweise die aktuellen Energiepreise zu kontrollieren und die bestehenden Lieferengpässe zu überwinden.