Der BGH hat mit Urteil vom 28.06.2022 (II ZR 112/12) die Ermittlung der Zahlungsunfähigkeit konkretisiert. Mit dem veröffentlichten Entwurf einer Neufassung des IDW Standard: Beurteilung des Vorliegens von Insolvenzeröffnungsgründen (IDW ES 11 n.F.) werden die Regelungen zur Ermittlung der Zahlungsunfähigkeit an die neue Rechtsprechung angepasst.
Das Urteil des für Gesellschaftsrecht zuständigen II. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 28.06.2022 (II ZR 112/21) hat zur Folge, dass unter anderem Insolvenzverwalter den Zeitpunkt der Zahlungsunfähigkeit nach einer weiteren Methode bestimmen können. Die seit 2005 geltende Rechtsprechung des BGH (IX ZR 123/04) sieht eine Bestimmung des Insolvenzgrundes der Zahlungsunfähigkeit durch folgende Methoden vor:
- Ein Unternehmen ist zahlungsunfähig, wenn es mit den zum Stichtag verfügbaren liquiden Mitteln (Aktiva I) die zum Stichtag fälligen Verbindlichkeiten (Passiva I) nicht decken kann und eine Deckungslücke von 10,0 % (oder mehr) auch nicht mit den im dreiwöchigen Prognosezeitraum zufließenden liquiden Geldmitteln (Aktiva II) bei Gegenrechnung der in diesem Zeitraum fällig werdenden Verbindlichkeiten (Passiva II) schließen kann.
- Somit galten laut dem BGH bisher Unternehmen als zahlungsunfähig, wenn es nicht mindestens 90,0 % seiner fälligen Verbindlichkeiten innerhalb des dreiwöchigen Zeitraums begleichen kann.
Nach dem Urteil vom 28.06.2022 wird die bisherige Rechtsprechung wie folgt erweitert:
- Zur Feststellung der Zahlungsunfähigkeit ist es zusätzlich möglich, an jeweils drei Stichtagen innerhalb eines dreiwöchigen Zeitraums einen Liquiditätsstatus zu erstellen, in dem lediglich die – zu einem konkreten Stichtag verfügbaren – liquiden Mitteln den fälligen Verbindlichkeiten einander gegenübergestellt werden.
- Ergibt sich an diesen drei Stichtagen innerhalb eines dreiwöchigen Zeitraums eine Liquiditätslücke von 10,0 % oder mehr (Gegenüberstellung Aktiva I und Passiva I), gilt das Unternehmen rückwirkend betrachtet ab dem ersten Stichtag bereits als zahlungsunfähig.
Das IDW greift die Rechtsprechung des BGH vom 28.06.2022 auf und trägt unter anderem dieser Rechtsprechung im Entwurf des IDW ES 11 n.F. Rechnung. Der IDW S 11 a.F. hat schon bisher die Ermittlung der Zahlungsunfähigkeit anhand eines Finanzplans präferiert. Die aktuelle Rechtsprechung des BGH stellt klar, dass die Ermittlung der Zahlungsunfähigkeit auf Basis eines Finanzplans bzw. mehrerer aufeinanderfolgender Plan-Finanzstatus zulässig ist. Der Entwurf der Neufassung des IDW S 11 (IDW ES 11 n.F.) berücksichtigt die aktuelle Rechtsprechung des BGH und sieht unter anderem vor, dass die Ermittlung der Zahlungsunfähigkeit somit auf Basis eines Finanzplans bzw. mehrerer aufeinanderfolgender Plan-Finanzstatus zulässig ist.
Zur Einschätzung des Krisenstadiums fordert der IDW ES 11 n.F. die Aufstellung einer integrierten Unternehmensplanung durch die gesetzlichen Vertreter. Dabei ist zwischen vergangenheits- und zukunftsorientierten Daten zu unterscheiden. Bei vergangenheitsorientierten Daten, welche die Ausgangsbasis für die Darstellung der aktuellen Vermögens-, Finanz- und Ertragslage sind, ist für die Beurteilung der Liquiditätslage sicherzustellen, dass die erforderlichen Informationen zutreffend aus der Rechnungslegung übernommen wurden.
Die Ermittlung zukunftsorientierter Daten ist sowohl sachlich als auch rechnerisch aus den vergangenheitsorientierten Daten abzuleiten und unter Berücksichtigung schlüssiger Planungsprämissen weiterzuentwickeln. Dabei wird im IDW ES 11 unter anderem auf den IDW Praxishinweis 2/2017: Beurteilung einer Unternehmensplanung bei Bewertung, Restrukturierungen, Due Diligence und Fairness Opinion (02.01.2017) verwiesen.
Änderungs- oder Ergänzungsvorschläge zum IDW ES 11 n.F. erbittet das IDW schriftlich an die Geschäftsstelle des IDW bis zum 15.03.2023 zu richten.