Der Bundesfinanzhof hat sich mit seinem Urteil vom 26.07.2023 zur Bildung des passiven Rechnungsabgrenzungspostens geäußert.
Leitsätze des Bundesfinanzhofs (BFH) aus dem Urteil vom 26.07.2023 – IV R 22/20:
- Eine Schätzung der “bestimmten Zeit” als Tatbestandsvoraussetzung für eine passive Rechnungsabgrenzung erhaltener Einnahmen ist zulässig, wenn sie auf “allgemeingültigen Maßstäben” beruht. Daran fehlt es, wenn die angewendeten Maßstäbe auf einer Gestaltungsentscheidung des Steuerpflichtigen beruhen, die geändert werden könnte.
- Eine Passivierung erhaltener Zahlungen für eine noch ausstehende zeitraumbezogene Leistung ist nicht als erhaltene Anzahlung, sondern nur unter den Voraussetzungen der passiven Rechnungsabgrenzung möglich.
Sachverhalt:
Im BFH-Urteil vom 26.07.2023 (IV R 22/20) wurde folgender Fall verhandelt: Die Klägerin ist eine inländische Personengesellschaft, die Verträge innerhalb ihrer Unternehmensgruppe abschließt, um Maßnahmen zur Projektentwicklung für geplante Bauvorhaben zu übernehmen. Für ihre Leistungen erhält sie pauschale Tätigkeitshonorare, die sich der Höhe nach an den Gesamtinvestitionskosten richten und über die voraussichtliche Projektdauer hinweg in regelmäßigen Raten beglichen werden. Bei einer Leistungsermittlung gliedert die Klägerin die Projekte in verschiedene Phasen, beginnend mit der Akquisition und endend nachlaufenden Arbeiten. Jede Phase zeichnet sich mit einem klaren Start, einer bestimmten Dauer sowie einem gesetzten Ende aus. Aufgrund dieser Einteilung bildete die Klägerin einen passiven Rechnungsabgrenzungsposten.
Während einer steuerlichen Außenprüfung beanstandete der Betriebsprüfer die passive Rechnungsabgrenzung. Seiner Ansicht nach bestand ein unzureichender zeitlicher und sachlicher Zusammenhang zwischen den in den Projektverträgen festgelegten Zahlungsplänen und den erbrachten Leistungen. Das Finanzamt stimmte dieser Auffassung zu und änderte den Gewinnfeststellungsbescheid.
Das Finanzgericht Düsseldorf (Vorinstanz) wies die Klage der Klägerin als unbegründet ab und bestätigte die Rechtmäßigkeit der Auflösung der passiven Rechnungsabgrenzung. Die Begründung lautete, dass ein passiver Rechnungsabgrenzungsposten, der auf individuellen Schätzungen zur Leistungsdauer basiert, nicht anerkannt werden könne. Die Rechnungslegung muss auf allgemein anerkannten Maßstäben beruhen. Da die Klägerin ihre Erlöse aufgrund eigener Schätzungen auf die verschiedenen Phasen verteilte, war nicht ausreichend nachweisbar, welcher Teil der bereits erhaltenen Honorare auf zukünftige Leistungen entfiel. Dies widersprach dem gesetzlichen Tatbestandsmerkmal “bestimmte Zeit” im Sinne des § 5 Abs. 5. S. 2 EStG.
Entscheidung:
Der Bundesfinanzhof (BFH) bestätigte das Urteil des FG Düsseldorf. Der BFH stellte dabei fest, dass die Voraussetzungen für die Bildung einer passiven Rechnungsabgrenzung aufgrund der Vertragsverhältnisse nicht erfüllt sind und dass die angestrebte Gewinnminderung durch die Passivierung der Honorarzahlungen als erhaltene Anzahlungen nicht erreicht werden kann. Ebenso wurde die Entscheidung des FG bezüglich der Ablehnung einer Erhöhung der bereits berücksichtigten Rückstellung für einen Erfüllungsrückstand der Klägerin nicht beanstandet.
Passive Rechnungsabgrenzungen dienen dazu, Einnahmen vor dem Abschlussstichtag auszuweisen, wenn sie Erträge für eine bestimmte Zeit nach diesem Stichtag repräsentieren. Dies gewährleistet die Einhaltung des Realisationsprinzips, wonach vorab vereinnahmte Entgelte erst in die Gewinnberechnung einfließen, wenn die Gegenleistung erbracht wurde. Um den Anforderungen für eine Rechnungsabgrenzung gemäß § 5 Abs. 5 EStG zu genügen, muss die noch ausstehende Gegenleistung zeitlich zugeordnet oder periodisch aufgeteilt werden können. Das Gesetz verlangt eine objektive Grundlage für die Rechnungslegung, um willkürliche Gewinnausweisungen aufgrund nicht nachprüfbarer Annahmen zu verhindern. Individuelle Schätzungen der Leistungsdauer, wie im vorliegenden Fall, werden demnach nicht akzeptiert, wohlgleich Schätzungen aufgrund allgemein gültiger Maßstäbe zulässig sind.
Wenn die Zahlung für eine Leistung erfolgt, die sich über einen Zeitraum erstreckt und nicht zu einem festen Zeitpunkt erbracht wird, kann die Zahlung nur im Wege eines passiven Rechnungsabgrenzungsposten, nicht aber als Anzahlung passiviert werden. Das FG hat die von der Klägerin erbrachten Leistungen in den einzelnen Projektverträgen als zeitraumbezogene Leistungen bewertet. Daher wurde zurecht entschieden, dass die erhaltene Zahlung nicht als Anzahlung gemäß den Vorschriften des § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG in Verbindung mit § 266 Handelsgesetzbuch passiviert werden kann, sondern nur als passiver Rechnungsabgrenzungsposten. Andernfalls würde das Kriterium der “bestimmten Zeit” an Bedeutung verlieren, und somit der Gesetzgeberwille, keine Vorleistungen für einen unbegrenzten Zeitraum nach dem Bilanzstichtag zu erfassen, untergraben.
Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten setzen voraus, dass die Verbindlichkeit hinsichtlich ihrer Höhe und/oder der hinreichenden Wahrscheinlichkeit ihres künftigen Entstehens unklar ist und dass sie wirtschaftlich vor dem Bilanzstichtag verursacht wurde. Zudem muss die ernsthafte Inanspruchnahme des Schuldners wahrscheinlich sein. Ansprüche und Verbindlichkeiten aus schwebenden Geschäften dürfen in der Bilanz im Allgemeinen nicht berücksichtigt werden, da während des Schwebestatus die widerlegbare Vermutung besteht, dass sich die wechselseitigen Rechte und Pflichten ausgleichen. Der handelsrechtliche Maßstab für die Bewertung ist der nach vernünftiger kaufmännischer Beurteilung notwendige Erfüllungsbetrag gemäß § 253 Abs. 1 Satz 2 HGB.
Fazit: Die Bildung eines passiven Rechnungsabgrenzungspostens kommt nicht in Frage, wenn die Verteilung eines Gesamtbetrags auf zeitliche Phasen, deren Festlegung und Gewichtung allein auf Schätzungen des steuerpflichtigen Bilanzierenden beruht.