In seinem Urteil vom 12.07.2023 hatte sich der BFH mit der Frage zu befassen, in welchem Veranlagungsverfahren und welches Finanzamt die Auflösung einer Rücklage nach § 6b EStG nach dem Ausscheiden des Gesellschafters aus einer Mitunternehmerschaft zu berücksichtigen ist/ hat.
Leitsätze des Bundesfinanzhofs (BFH) aus dem Urteil vom 12.07.2023, X R 14/21:
- Das Betriebsfinanzamt der Mitunternehmerschaft hat über die Einstellung des Veräußerungsgewinns in eine sonderbilanzielle Rücklage nach § 6b EStG zu entscheiden, auch wenn ein Mitunternehmer seinen gesamten Mitunternehmeranteil veräußert hat.
- Über die später wegen des Ablaufs der Reinvestitionsfrist erforderliche Auflösung einer solchen Rücklage ist nicht im Gewinnfeststellungsverfahren der Mitunternehmerschaft, sondern im Einkommensteuerverfahren des früheren Mitunternehmers zu entscheiden.
- Wenn die Rücklage nach § 6b EStG im Gewinnfeststellungsverfahren der Mitunternehmerschaft erst aufgrund eines Rechtsbehelfs des Steuerpflichtigen berücksichtigt wird, ermöglicht § 174 Abs. 4 der Abgabenordnung für den Veranlagungszeitraum des Ablaufs der Reinvestitionsfrist die Änderung eines bestandskräftigen Einkommensteuerbescheids des früheren Mitunternehmers, um den Gewinn aus der Auflösung der Rücklage zu erfassen.
Sachverhalt:
Im Gewinnfeststellungsverfahren einer KG für 2006 beantragte der Gesellschafter der KG zunächst erfolglos, den Veräußerungsgewinn, der vollständig auf die Wirtschaftsgüter Grund und Boden sowie Gebäude entfiel, in eine Rücklage nach § 6b EStG einzustellen. Erst im Einspruchsverfahren kam das für die KG zuständige Betriebs-Finanzamt diesem Begehren mit geändertem Gewinnfeststellungsbescheid 2006 nach. Die Einkommensteuer 2006 der Kläger wurde mit Änderungsbescheid entsprechend herabgesetzt.
Da der Kläger die Rücklage nicht von den Anschaffungs- oder Herstellungskosten anderer Wirtschaftsgüter abgezogen hatte, löste sie das Finanzamt als Wohnsitz-Finanzamt im vorliegend angefochtenen geänderten Einkommensteuerbescheid 2010 gewinnerhöhend auf und setzte einen Gewinnzuschlag nach § 6b Abs. 7 EStG an. Dabei blieb die Einkommensteuer unverändert auf EUR 0,00 festgesetzt; der Gesamtbetrag der Einkünfte und der Verlustabzug aus dem zum 31.12.2009 festgestellten verbleibenden Verlustvortrag erhöhten sich aber entsprechend. Verfahrensrechtlich wurde der Änderungsbescheid zunächst auf § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO, in der Einspruchsentscheidung dann auf eine “analoge” Anwendung des § 174 Abs. 4 AO gestützt.
Hiergegen wandten sich die Kläger im Einspruchs- und Klageverfahren vor allem mit dem Argument, das Wohnsitz-Finanzamt sei für die Entscheidung über die Auflösung der Rücklage nicht zuständig gewesen; vielmehr hätte diese Entscheidung im Gewinnfeststellungsverfahren der KG getroffen werden müssen. Auch wenn der Kläger im Streitjahr 2010 nicht mehr Gesellschafter der KG gewesen sei, könne über das weitere Schicksal einer Rücklage nur in dem Betrieb entschieden werden, in dem sie gebildet und in der Buchführung ausgewiesen worden sei.
Ferner sind die Kläger der Auffassung, es gebe für die Änderung des Einkommensteuerbescheids 2010 keine Korrekturvorschrift. Der § 174 Abs. 4 AO sei nicht anwendbar, weil dies die Wirksamkeit des Gewinnfeststellungsbescheids 2006 voraussetzen würde, dieser Bescheid in Bezug auf den Kläger aber unwirksam sei.
Das Finanzgericht wies die Klage ab. Zur Begründung führte es aus, zwar sei über die Auflösung der Rücklage grundsätzlich im Besteuerungsverfahren desjenigen Betriebs zu entscheiden, in dem der Gewinn aus der Veräußerung des Wirtschaftsguts angefallen sei. Vorliegend sei aber das Wohnsitz-Finanzamt für die Auflösung der Rücklage zuständig gewesen, da der Kläger bereits im Jahr 2006 aus der KG ausgeschieden sei und mit seinen nachträglichen Einkünften aus der Auflösung der Rücklage nicht Beteiligter eines Gewinnfeststellungsverfahrens der KG für 2010 sein könne.
Entscheidung des BFH:
Das Finanzgericht hat zutreffend entschieden, dass das Finanzamt die Rücklage im angefochtenen Einkommensteuerbescheid 2010 unabhängig von einem Gewinnfeststellungsverfahren der KG auflösen durfte. Ebenfalls zu Recht hat das Finanzgericht die Befugnis des Finanzamtes zur Änderung der bereits bestandskräftigen Einkommensteuerfestsetzung 2010 aus § 174 Abs. 4 AO abgeleitet; insbesondere ist der ursprüngliche Gewinnfeststellungsbescheid 2006 für die KG gegenüber dem Kläger wirksam geworden.
Ist der Gewinn aus der Veräußerung des gesamten Mitunternehmeranteils in eine Rücklage nach § 6b EStG eingestellt worden und ist diese Rücklage nicht bis zum Ablauf der Reinvestitionsfrist von den Anschaffungs- oder Herstellungskosten hierfür geeigneter Wirtschaftsgüter abgezogen worden, muss die Gewinnerhöhung, die sich aus der Auflösung der Rücklage ergibt, unmittelbar im Einkommensteuerverfahren des in diesem Veranlagungszeitraum weder an der Mitunternehmerschaft noch an deren Gewinnfeststellungsverfahren beteiligten ehemaligen Gesellschafters berücksichtigt werden.
Da die Rücklage in einem solchen Fall nicht Bestandteil der Gesamthandelsbilanz der Mitunternehmerschaft ist, bleibt bilanztechnisch nur die Möglichkeit, sie in eine Sonderbilanz des ausscheidenden Gesellschafters einzustellen. Die spätere Auflösung einer solchen Rücklage führt zu nachträglichen gewerblichen Einkünften des ehemaligen Gesellschafters im Sinne des § 24 Nr. 2 EStG.
Eine Auflösung der Rücklage im Rahmen des Gewinnfeststellungsverfahrens der Mitunternehmerschaft kommt nicht in Betracht. Denn nach § 179 Abs. 2, § 180 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO sind einkommensteuerpflichtige Einkünfte und mit ihnen im Zusammenhang stehende andere Besteuerungsgrundlagen – nur dann – gesondert und einheitlich festzustellen, wenn an den Einkünften mehrere Personen beteiligt sind und die Einkünfte diesen Personen steuerlich zuzurechnen sind. Beide Voraussetzungen sind nicht erfüllt, wenn der frühere Gesellschafter aufgrund der Veräußerung seines gesamten Mitunternehmeranteils aus der Mitunternehmerschaft ausgeschieden ist.
Es entspricht ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung, dass persönliche nachträgliche gewerbliche Einkünfte eines bereits in einem früheren Wirtschaftsjahr aus einer Mitunternehmerschaft ausgeschiedenen Steuerpflichtigen nicht mehr in das Gewinnfeststellungsverfahren der Mitunternehmerschaft einzubeziehen sind.
Die Vermeidung der Durchführung eines Gewinnfeststellungsverfahrens dient in einem solchen Fall auch dem Schutz des ausgeschiedenen Gesellschafters, da eine Sonderbilanz für ausgeschiedene Gesellschafter ebenfalls von der Mitunternehmerschaft aufzustellen ist
Die Auflösung einer aus einem Veräußerungsgewinn gebildeten Rücklage führt zu nachträglichen gewerblichen Einkünften im Sinne des § 24 Nr. 2 EStG. Nachträgliche gewerbliche Einkünfte unterliegen aber nicht mehr der Gewerbesteuer, da es – in Ermangelung eines werbenden Betriebs – an einem tauglichen Steuergegenstand fehlt.
Das Finanzamt war in verfahrensrechtlicher Hinsicht gemäß § 174 Abs. 4 AO zum Erlass des geänderten Einkommensteuerbescheids 2010 berechtigt.