Laut BFH-Urteil vom 13.09.2023 ist § 13b Abs. 2 S. 2 ErbStG dahingehend auszulegen, dass bei Handelsunternehmen, deren begünstigungsfähiges Vermögen aus Finanzmitteln im Sinne des § 13b Abs. 4 Nr. 5 ErbStG besteht und nach seinem Hauptzweck einer Tätigkeit im Sinne des § 15 Abs. 1 S. 1 EStG dient, für den dort verankerten sogenannten 90 %-Einstiegstest die betrieblich veranlassten Schulden von den Finanzmitteln in Abzug zu bringen sind.
Mit Urteil vom 13.09.2023 (Az. II R 49/21) hat der BFH (II. Senat) sich zur Anwendung des 90 %-Einstiegstests bei Handelsunternehmen geäußert. Mit seiner Entscheidung stärkt der BFH die Stellung der Steuerpflichtigen, indem er sich bei der Berechnungsformel des 90 %-Einstiegstests bei Handelsunternehmen für eine Verrechnung der Finanzmittel mit den Schulden ausspricht. Mithin muss im Zähler eine Nettogröße herangezogen werden, um einen Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG zu verhindern. Der BFH hat damit die vorangegangene Rechtsprechung des FG aufgehoben. Im Ergebnis setzte der BFH eine Schenkungsteuer von EUR 0,00 fest.
Sachverhalt:
Gegenstand der Entscheidung war die Festsetzung der Schenkungsteuer in Folge eines schenkweisen Erwerbs von Anteilen einer GmbH. Das Finanzamt schloss eine Begünstigung des Betriebsvermögens nach § 13a ErbStG aus, da die Begünstigung aufgrund des § 13b Abs. 2 S. 2 ErbStG (sog. 90 %-Einstiegstest) nicht gewährt werden könne. Daraufhin wurde mittels Einspruchs die Gewährung der Regelverschonung für Betriebsvermögen beantragt und Klage vom Steuerpflichtigen beim FG erhoben. Die Klage und den Antrag des Steuerpflichtigen hatte die Vorinstanz abgelehnt (FG Münster, 24.11.2021, Az: 3 K 2174/19 Erb) und eine Schenkungsteuer festgesetzt. Gegen das Urteil des FG Münster richtete sich die Revisionsklage des Steuerpflichtigen beim BFH.
Entscheidung:
Im vorliegenden Fall kommt der BFH zu dem Ergebnis, dass die Regelverschonung anzuwenden ist und die Voraussetzungen des § 13b Abs. 2 S. 2 ErbStG nicht erfüllt sind. Seine Entscheidung stützt der BFH dabei auf eine verfassungskonforme Auslegung des 90 %-Einstiegstests.
Die Entscheidung darüber, ob nach § 13b Abs. 2 S. 1 ErbStG grundsätzlich begünstigungsfähiges Vermögen nach § 13b Abs. 2 S. 2 ErbStG vollständig nicht begünstigt wird, wird anhand einer mathematischen Formel mit Zähler und Nenner gefällt. Dabei kritisiert der BFH zunächst den schwer verständlichen Wortlaut des § 13b Abs. 2 S. 2 ErbStG, wonach sich der Zähler aus dem Verwaltungsvermögen vor Schuldenverrechnung und Freibetrag ergibt. Demnach handelt es sich bei dem Zähler um eine Bruttogröße. Das Verwaltungsvermögen einschließlich des jungen Verwaltungsvermögens und die Finanzmittel einschließlich der jungen Finanzmittel sind heranzuziehen, ohne dabei die Schuldenverrechnung bei den Finanzmitteln, den 15%igen Sockelbetrag beim Finanzmitteltest, die quotale Schuldenverrechnung mit dem Verwaltungsvermögen und die Regelung, nach der 10 % des Verwaltungsvermögens als unschädlich anzusehen sind, zu berücksichtigen.
Den Nenner bildet der gemeine Wert des gesamten begünstigungsfähigen Vermögens. Hierbei handelt es sich um eine Nettogröße, da die Schulden disquotal berücksichtigt werden. Im Ergebnis wird die oben beschriebene Bruttogröße zu dieser Nettogröße ins Verhältnis gesetzt.
Durch diese wortlautgetreue Auslegung kommt es nach Auffassung des BFH bei Handelsunternehmen zur sogenannten Fallbeilwirkung, da das grundsätzlich begünstigungsfähige Betriebsvermögen gänzlich von der erbschaft- schenkungsteuerrechtlichen Begünstigung ausgeschlossen wird. In Widerspruch zu der wortlautgetreuen Auslegung des § 13b Abs. 2 S. 2 ErbStG kann es den Ausführungen des BFH folgend dazu kommen, dass das Verwaltungsvermögen gleichzeitig deutlich niedriger oder sogar EUR 0,00 sein könnte, wenn kein sonst kein steuerschädliches Verwaltungsvermögen vorliegt.
Das liege daran, dass die grundsätzlich als steuerschädliches Verwaltungsvermögen einzustufenden betriebsnotwendigen Finanzmittel, nach Abzug des üblicherweise bei solchen Handelsunternehmen ebenfalls hohen Bestands an Forderungen aus Lieferungen und Leistungen, regelmäßig weniger als 15 % des anzusetzenden Betriebsvermögens betragen. Sie stellen mithin keine steuerschädlichen Finanzmittel dar und sind damit im Ergebnis nicht als steuerschädliches Verwaltungsvermögen im Sinne des § 13b Abs. 4 Nr. 5 S. 1 ErbStG zu berücksichtigen.
Bei Handelsunternehmen kommt es durch die wortgetreue Auslegung des § 13b Abs. 2 S. 2 ErbStG nach Auffassung des BFH zu einer nicht mit dem Art. 3 Abs. 1 GG vereinbaren Ausgestaltung des steuerrechtlichen Ausgangstatbestands. Vielmehr gebietet eine verfassungskonforme Auslegung der Vorschrift zusätzlich eine systematische (Auslegung aus dem Zusammenhang), teleologische (Auslegung nach dem Zweck) sowie eine historische Auslegung (Auslegung nach den Gesetzesmaterialien und der Entstehungsgeschichte). Daher sieht es der BFH als geboten an, dass bei typischen Handelsunternehmen für den 90 %-Einstiegstest die betrieblich veranlassten Schulden von den Finanzmitteln in Abzug zu bringen sind.
§ 13b Abs. 2 S. 2 ErbStG ist eine Missbrauchsvermeidungsvorschrift mit deren Hilfe die steuerliche Begünstigung für sogenannten Cash-Gesellschaften vermieden werden soll. Durch wortgetreue Auslegung des § 13b Abs. 2 S. 2 ErbStG entfaltet die Regelung allerdings für Handelsunternehmen eine überschießende Wirkung, wenn Forderungen aus Lieferungen und Leistungen (Finanzmittel nach § 13b Abs. 4 Nr. 5 S. 1 ErbStG) isoliert ohne die Schuldenverrechnung heranzuziehen wären. Die betrieblichen Schulden dienen nämlich dazu, produktives Vermögen zu erwerben und so die Fortführung des Betriebs sicherzustellen.
Entsprechend den voranstehenden Ausführungen hat der BFH im vorliegenden Sachverhalt entschieden, dass nach Verrechnung der Finanzmittel mit den Schulden keine steuerschädlichen Finanzmittel vorhanden sind. Die Voraussetzungen für eine solche einschränkende Auslegung des § 13b Abs. 2 S. 2 ErbStG waren im vorliegenden Sachverhalt erfüllt, da es sich um einen Betrieb, dessen Hauptzweck eine Tätigkeit im Sinne des § 13 Abs. 1, des § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 oder des § 18 Abs. 1 Nr. 1 und 2 EStG war, handelte.
Fazit:
Entgegen der wörtlichen Auslegung des § 13b Abs. 2 S. 2 ErbStG schafft der BFH eine Grundlage für die systematische, teleologische und historische Auslegung der Norm. Infolgedessen können bei der Berechnung des 90 %-Einstiegstests zukünftig die Schulden in Abzug gebracht werden, sofern es sich um einen Betrieb handelt, dessen Hauptzweck eine Tätigkeit im Sinne des § 13 Abs. 1, des § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 oder des § 18 Abs. 1 Nr. 1 und 2 EStG ist. Für die Ermittlung des erbschaft- und schenkungsteuerlichen begünstigten Vermögens ergibt sich hieraus in der Praxis eine erleichternde Wirkung.