Das OLG München entschied, dass das LG zurecht von einer signifikanten Überbewertung der Aktiva im Zusammenhang mit zu hoch bilanzierten Treuhänderkonten ausging und diese auch von ordentlichen Kaufleuten erkennbar war und dem folgend zutreffend von einer Nichtigkeit der zugrundeliegenden Jahresabschlüsse ausging.
Rechtliche Grundlagen
Ein Jahresabschluss ist nichtig, wenn er durch seinen Inhalt Vorschriften verletzt, die ausschließlich oder überwiegend zum Schutze der Gläubiger der Gesellschaft gegeben sind (§ 256 Abs. 1 Nr. 1 AktG). Wegen eines Verstoßes gegen die Bewertungsvorschriften ist der Jahresabschluss aber nur dann nichtig, wenn Posten überbewertet werden oder wenn Posten unterbewertet und damit die Vermögens- und Ertragslage der Gesellschaft vorsätzlich unrichtig wiedergegeben oder verschleiert wird (§ 256 Abs. 5 Satz 1-3 AktG). Damit ist – entgegen einer Überbewertung – nur im Fall einer Unterbewertung vorsätzliches Handeln für die Nichtigkeit des Jahresabschlusses notwendig.
Sachverhalt
Die Wirecard AG hatte Gelder als liquide Mittel bilanziert, die durch einen Treuhänder auf diversen Konten verwahrt wurden. Die Gelder wurden in der Höhe der vonseiten des Treuhänders eingeholten Saldenbestätigungen bilanziert.
Die Saldenbestätigungen wiesen auf bestimmte Konten hin, auf denen laut Saldenbestätigungen insgesamt Gelder in Höhe von EUR 712 Mio. (31.12.2017) und von EUR 975 Mio. (31.12.2018) verwahrt waren. Tatsächlich war auf besagten Konten nur ein Betrag in Höhe von EUR 1,5 Mio. (31.12.2017) und von EUR 2 Mio. (31.12.2018) verwahrt. Demzufolge waren die Saldenbestätigungen inhaltlich unrichtig.
Beurteilung
Verbleib der Gelder und Überbewertung
Nach dem Beschluss des OLG München (7 U 3337/22) sind die Gelder damit entweder nicht existent oder sie liegen auf anderen als den durch die Saldenbestätigungen angegebenen Konten.
Wenn die Gelder nicht existieren, liegt nach dem OLG München eine Überbewertung der Aktiva nach § 256 Abs. 5 AktG vor, da ein entsprechender Abwertungsbedarf besteht. Zudem ist die Überbewertung analog zu § 256 Abs. 4 AktG als wesentlich anzusehen, da sie 37 % (31.12.2017) und 41 % (31.12.2018) der Bilanzsumme ausmacht.
Auch in dem Fall, in dem die Gelder auf anderen Konten sind, sieht das OLG München eine Überbewertung nach § 256 Abs. 5 AktG. Begründet wird dies damit, dass keine Belege über das Vorhandensein der Gelder existieren und die Gelder einem jederzeitigen Zugriff des Treugebers faktisch entzogen sind – insbesondere da der Treunehmer mit den Geldern anders verfährt als er dem Treugeber vorspiegelt. Im Übrigen liegt nach dem OLG München damit auch ein Verstoß gegen das Vorsichtsprinzip vor. Im Ergebnis ergibt sich damit gem. OLG München ein analoger Abwertungsbedarf bei entsprechender Wesentlichkeit.
Erkennbarkeit
Bei einer Überbewertung nach § 256 Abs. 5 AktG kommt es aber nur dann zu einer Nichtigkeit des Jahresabschlusses, wenn diese für ordentliche Kaufleute erkennbar war. Unvermeidbare Fehlbewertungen sollen demnach nicht zur Nichtigkeit führen.
Das OLG München kam zu dem Schluss, dass die Überbewertungen nicht unvermeidbar waren, auch wenn die Bilanzierung der Gelder nach den Saldenbestätigungen unter Umständen den in den relevanten Jahren geltenden Bilanzierungsstandards entsprach. Denn beispielsweise hätten Kontoauszüge angefordert werden können. Dass die Überbewertung nicht unvermeidbar war, geht nach Ansicht des OLG München auch daraus hervor, dass diejenigen, die über die Falschheit der Saldenbestätigungen wussten, im Machtbereich der bilanzierenden Gesellschaft waren. Denn entweder kamen die Saldenbestätigungen tatsächlich von dem Treuhänder, der dann von der Falschheit wusste und dessen Wissen der bilanzierenden Gesellschaft zuzurechnen ist, oder die Saldenbestätigungen wurden unmittelbar im Machtbereich der bilanzierenden Gesellschaft gefälscht.
Beschluss
Demnach kam es nach Ansicht des OLG München zu einer wesentlichen Überbewertung von Aktiva, die für einen ordentlichen Kaufmann erkennbar war, mit der Folge eines nichtigen Jahresabschlusses.
Schlussfolgerungen
Die Nichtigkeit eines Jahresabschlusses, die im AktG geregelt ist, aber analog auf alle Jahresabschlüsse anzuwenden ist, führt dazu, dass die an den Jahresabschluss knüpfenden Rechtsfolgen keine Wirkung entfalten. Dies betrifft bspw. Regelungen zur Gewinnverwendung. Nachdem das Gesetz keine festen Grenzen vorsieht, in welchen Fällen bzw. ab wann ein Jahresabschluss nichtig ist, kommt es immer auf den Einzelfall an. In dem vorliegenden Fall hat das OLG München die Nichtigkeit des Jahresabschlusses wegen einer erkennbaren und wesentlichen Überbewertung von Aktiva bejaht.