Im Jahr 2023 kam es aufgrund der dynamischen Zinsentwicklung, neuer Rechtsprechung und aktualisierten Verlautbarungen des Fachausschusses für Unternehmensbewertung und Betriebswirtschaft (FAUB) des IDW zu Veränderungen, die bei der Bewertung von Unternehmen zu berücksichtigen sind. Der nachfolgende Beitrag gibt einen Überblick zu den wesentlichen Entwicklungen.
Das Jahr 2023 war geprägt von einer Reihe an Krisen, die sich teilweise überlagerten bzw. aneinanderreihten. Diese Krisen umfassen geopolitische Konflikte, wie offen in der Ukraine ausgetragen oder wie im Fall Taiwans dahin schwelend. Hinzu kommen die aktuell fortdauernden kriegerischen Auseinandersetzungen im Gazastreifen. Darüber hinaus bestehen weiterhin Tendenzen der Deglobalisierung. Hier sind die Folgen des Brexits und des nach wie vor ungelösten Handelskrieges zwischen den USA und China besonders hervorzuheben. Auch die Nachwirkungen der im Jahr 2022 ausgelaufenen Corona-Krise waren im Jahr 2023 zum Teil noch zu spüren. Die Corona-Krise stürzte die Wirtschaft im Jahr 2020 in bisher unerwarteter und bisher auch nicht gekannter Schnelligkeit in eine über Jahre anhaltende Krisensituation. Zusammen mit den weiteren vorgenannten Krisen befindet sich die Wirtschaft damit aktuell – und so auch bereits im Jahr 2023 – in einer Poly-Krise.
Eine der Folgen der Corona-Pandemie ist die dynamische Zinsentwicklung aufgrund der hohen Inflationsraten. Der Russland-Ukraine-Konflikt trieb das Inflationsgeschehen zusätzlich massiv in die Höhe. Noch im Januar und Februar des Jahres 2023 lag der Verbraucherpreisindex mit 8,70 % deutlich über dem Vorjahreswert und damit nur knapp unter dem Allzeithoch von 8,80 % im November 2022. Zur Bekämpfung der erhöhten Inflation wechselte die Europäische Zentralbank (EZB) im Juli 2022 ihren geldpolitischen Kurs. Auch im Jahr 2023 setzte die EZB ihre restriktive Geldpolitik fort. Im Februar, März, Mai, Juni und Juli des vergangenen Jahres 2023 wurden daher Leitzinserhöhungen von je 0,50 Prozentpunkte beschlossen. Die letzte Leitzinserhöhung im September 2023 belief sich auf 0,25 Prozentpunkte. Seit dem 14.09.2023 verharrt der Leitzins der EZB (Hauptrefinanzierungsgeschäft) bei 4,50 %. Im letzten Quartal des Jahres 2023 verzichteten die EZB wie auch die US-Notenbank Federal Reserve (Fed) auf weitere Zinserhöhungen.
Entwicklung der Kapitalkosten
Das im vergangenen Jahr allgemein steigende Zinsniveau beeinflusst auch den für eine Unternehmensbewertung relevanten risikolosen Basiszinssatz nach IDW S 1. Dieser ist ein wesentlicher Bestandteil des Kapitalisierungszinssatzes bei der Erstellung einer Unternehmensbewertung. Der Basiszinssatz enthält eine Geldentwertungsprämie als Entschädigung der Anleger für den Zeitwertverlust des Geldes durch Inflation. Vor allem wegen des erhöhten Inflationsgeschehens stieg der Basiszinssatz vor persönlichen Steuern bereits im Jahr 2022 von 0,10 % auf 2,00 % und im Jahr 2023 von 2,00 % auf 2,75 %. Damit fällt der Anstieg im Jahr 2023 zwar weniger stark aus als im Jahr 2022, ist jedoch immer noch deutlich. Betrachtet man den Verlauf des ungerundeten Basiszinssatzes im Jahr 2023, dann zeigt sich, dass die Wachstumsraten in allen vier Quartalen recht ähnlich waren. Seit März 2023 ist das Inflationsgeschehen rückläufig und nähert sich mit einem aktuellen Wert von voraussichtlich 3,70 % (Prognose Dezember 2023) wieder dem Inflationsziel der EZB in Höhe von 2,00 % an. Für das Gesamtjahr 2023 wird die Inflationsrate voraussichtlich 5,90 % betragen.
Im Zusammenhang mit vorbereitenden Maßnahmen für den einmal jährlich durchzuführenden Goodwill-Impairment Test nach IAS 36 stellen Unternehmen flächendeckend ein Abwertungspotenzial fest. Hintergrund ist, dass den steigenden Kapitalkosten oftmals keine entsprechend steigenden Cashflows folgen. Gleiches gilt für die Bewertung von Geschäfts- oder Firmenwerten nach HGB sowie für Beteiligungen. Im Ergebnis führen die gestiegenen Kapitalkosten zu einem Rückgang der Unternehmenswerte und einem damit zusammenhängenden Abwertungsrisiko. Denn: Durch das Ansteigen des bewertungsrelevanten Zinsniveaus im Jahr 2023 geraten die aktivierten Firmenwerte und Beteiligungen zum 31.12.2023 deutlich unter Druck. Dabei nimmt die Wahrscheinlichkeit von Abschreibungen zu. In der Folge sind insbesondere Bilanzpositionen, die von steigenden Kapitalkosten beeinflusst werden, im Rahmen der Abschlussprüfung für das Geschäftsjahr 2023 besonders kritisch zu analysieren und zu untersuchen.
Einflüsse auf die Erstellung der bewertungsrelevanten Planung
Insgesamt sind die makroökonomischen Einflüsse von Krisen auf jedes Unternehmen regelmäßig vielfältig und teils gravierend. Daraus ergeben sich direkte und indirekte Einflüsse auf den Unternehmenswert. Neben der dargestellten Veränderung der bewertungsrelevanten Kapitalkosten sind auch die bewertungsrelevanten Überschüsse betroffen. Daher ist eine umfassende, unternehmensindividuelle Analyse des zum Bewertungsstichtag relevanten Marktumfeldes von entscheidender Bedeutung. So müssen beispielsweise zu erwartende oder bereits eingetretene Preis- und Kostensteigerungen in den finanziellen Überschüssen berücksichtigt werden – sei es aufgrund von Inflation oder Lieferkettenproblemen. Zudem müssen mittel- bis langfristige Prognosen zu den bewertungsrelevanten Überschüssen getroffen werden. In schwierigen Zeiten bietet es sich in der Praxis an, den Detaillierungsgrad der Planung zu erhöhen. Dies betrifft neben der Genauigkeit auch die Länge des Detailplanungszeitraums. Gerade in unsicheren Zeiten bedarf es oftmals eines längeren Zeitraums als drei bis fünf Jahre, bis sich das Unternehmen bezogen auf seine Planung wieder in einem sogenannten eingeschwungenen Zustand befindet. Auch kann im Einzelfall eine genauere Analyse von Synergieeffekten geboten sein, um bestehende Bewertung absichern zu können. Im Einzelfall kann auch ein Denken und Planen in Szenarien notwendig sein. Letztlich müssen dann die verschiedenen Szenarien in eine erwartungstreue Planung überführt werden.
IDW Verlautbarungen
Im Jahr 2023 kam es zu folgender zentraler IDW-Verlautbarung, welche bei Unternehmensbewertungen im Einzelfall zu berücksichtigen ist:
- Verabschiedung des IDW Bewertungshinweises BewH 5.011 (vorher: IDW Praxishinweis 2/2018) – Der neue IDW Bewertungshinweis stellt eine überarbeitete Fassung des IDW Praxishinweises 2/2018 dar. Neben begrifflichen Klarstellungen wurden vor allem Ausführungen zu Insolvenzkosten ergänzt und dadurch bedingten Veränderungen der operativen und Kapitalstrukturrisiken sowie zu Indikatoren für Ausfallrisiken. Zudem wurde bezüglich überhöht verschuldeten Unternehmen, bei denen eine herkömmliche objektivierte Bewertung generell nicht möglich ist, die Möglichkeit einer objektivierten Bewertung unter der Bedingung einer erfolgreichen Sanierung ergänzt. (vgl. ausführlich: IDW Bewertungshinweis 5011 ersetzt IDW Praxishinweis 2/2018.
Rechtsprechung im Jahr 2023
- BayObLG v. 23.08.2023 (101 W 184/21): Das BayObLG hat mit Urteil vom 23.08.2023 entschieden, dass die Net Asset Value (NAV)-Methode zur Ermittlung einer angemessenen Barabfindung bei einer vermögensverwaltenden Gesellschaft zulässig ist. Diese Methode sei in dem vorliegenden Sachverhalt gegenüber dem herkömmlichen Ertragswertverfahren zu bevorzugen. Grund dafür ist die bessere Berücksichtigung der Spezifika des zu bewertenden Unternehmens, da der Wert eines vermögensverwaltenden Unternehmens von den Marktwerten der Kapitalanlagen geprägt ist. (vgl. ausführlich: NAV-Methode zur Ermittlung einer angemessenen Barabfindung zulässig.
Zusätzlich führt das BayObLG in seinem Urteil aus, dass bspw. steuerliche Verlustvorträge bei der NAV-Methode, anders als bei der Ertragswertmethode, nicht als Sonderwerte zu berücksichtigen sind (vgl. ausführlich: Steuerliche Verlustvorträge bei der NAV-Methode). - OLG Düsseldorf v. 16.08.2023 (12 U 59/22): Das OLG Düsseldorf hat sich in seinem Urteil vom 16.08.2023 zur Anwendung der Grundsätze des BGH zur positiven Fortbestehensprognose im Sinne des § 19 Abs 2 S. 1 InsO geäußert. Laut dem OLG Düsseldorf sind die Grundsätze auf Start-ups nicht uneingeschränkt anwendbar. Eine realistische und nachvollziehbare (Finanz-)Planung reicht unter bestimmten Voraussetzungen zur Beurteilung der Fortbestehensprognose aus. (vgl. ausführlich: OLG Düsseldorf: Start-ups und Grundsätze für positive Fortbestehensprognose).
- BGH v. 21.02.2023 (II ZB 12/21): Mit Beschluss vom 21.02.2023 hat sich der Bundesgerichtshof (BGH) zur Anwendung des Börsenkurses für die Bestimmung einer angemessenen Abfindung nach § 305 Abs. 3 Satz 1 AktG und des festen Ausgleichs nach § 304 Abs. 2 Satz 1 AktG geäußert. Dem BGH folgend ist das Vorliegen aussagekräftiger Börsenkurse ein angemessener Maßstab zur Ermittlung einer angemessenen Abfindung sowie zur Bestimmung eines angemessenen festen Ausgleichs. (vgl. ausführlich: BGH, Beschluss vom 21.02.2023, II ZB 12/21).
- BGH v. 09.02.2023 (III ZR 117/20): Der BGH mit der Bewertung von Geldforderungen in der Handelsbilanz und den Anforderungen an die Einholung eines Sachverständigengutachtens für die richtige bilanzielle Bewertung einer möglicherweise risikobehafteten Forderung befasst und bestimmte Grundsätze festgelegt. (vgl. ausführlich: BGH-Urteil vom 09.02.2023 – III ZR 117/20).
Im Ergebnis sind für Unternehmensbewertungen im Jahr 2023 neben der dynamischen Zinsentwicklung und den gestiegenen Kapitalkosten auch die aktuelle IDW Verlautbarung zur Berücksichtigung der Verschuldung bei der Bewertung von Unternehmen sowie die aktuelle Rechtsprechung zu berücksichtigen. Hier ist hervorzuheben, dass mit Hinblick auf die Bewertung von vermögensverwaltenden Unternehmen die Angemessenheit der NAV-Methode bestätigt wurde. Weiter ist die Inflation derzeit rückläufig, jedoch bleibt abzuwarten, ob dies bereits eine Trendumkehr darstellt. Die weitere Zins- und Kapitalkostenentwicklung hängt insbesondere von den Entscheidungen der EZB ab. Zum 31.12.2023 sind die Herausforderungen des wirtschaftlichen Umfelds angemessen bei der Bewertung zu berücksichtigen. Dies betrifft auch Fragen der Werthaltigkeit in den Jahres- und Konzernabschlüssen der Unternehmen.