Die Richter des OLG Karlsruhe beschäftigten sich mit der Frage, wann der Börsenkurs im Rahmen einer marktorientierten Unternehmensbewertung angepasst bzw. hochgerechnet werden muss. Der BGH entwickelte ein solches Verfahren bereits im Jahr 2010 (BGH-Beschluss II ZB 18/09) zum Schutz ausscheidender Minderheitsaktionäre. So soll ein Missbrauch durch die Fixierung eines bestimmten Börsenkurses verhindert werden.
Urteilsfall
Das OLG Karlsruhe hat sich im Rahmen eines Spruchverfahrens (Urteil vom 16.04.2024, 12 W 27/23) mit der Höhe der Abfindung für Minderheitsaktionäre befasst. Die Abfindung von Minderheitsaktionären wird notwendig, wenn die Minderheitsaktionäre im Rahmen eines Squeeze-Out von der Kapitalgesellschaft ausgeschlossen und somit quasi „enteignet“ werden. In der Folge haben die Minderheitsaktionäre einen Anspruch auf eine angemessene Abfindung je Aktie. Die Höhe der Abfindung wird durch eine Unternehmensbewertung bestimmt.
Bei einer marktorientierten Unternehmensbewertung wird der Börsenwert einer Gesellschaft als Schätzungsgrundlage für die Wertuntergrenze der angemessenen Barabfindung herangezogen. Ein solches Bewertungsverfahren ist prinzipiell unter bestimmten Voraussetzungen zulässig (vgl. BGH-Beschluss vom 21.02.2023, II ZB 12/21). Dabei ist auf den durchschnittlichen und volumengewichteten Börsenkurs zum Tag vor der Bekanntmachung der Strukturmaßnahme abzustellen. Maßgeblich ist hierbei ein Zeitraum von drei Monaten vor dem Tag der Bekanntmachung der Strukturmaßnahme.
Zum Schutz der Minderheitsaktionäre urteilte der BGH bereits im Jahr 2010, dass der Börsenkurs gegebenenfalls hochgerechnet werden muss. Mit der Bekanntgabe der Strukturmaßnahme könnte der Hauptaktionär aus eigenen Erwägungen einen bestimmten Börsenkurs fixieren und eine darauffolgende positive Entwicklung ausschließlich für sich nutzen.
Daher muss eine Hochrechnung zu branchen- und markttypischen Wertentwicklungen erfolgen, wenn zwischen dem Ende des dreimonatigen Referenzzeitraums und der tatsächlichen Durchführung der angestrebten Maßnahme ein längerer Zeitraum vergeht und daraufhin objektiver Anpassungsbedarf besteht.
Grundsätzlich dient eine Hochrechnung des Börsenkurses jedoch „nur“ dem Schutz der ausscheidenden Aktionäre. Deshalb muss ein solches Verfahren die Ausnahme bleiben und darf nur bei einem Verdacht auf Missbrauch der Gestaltungsmöglichkeiten durchgeführt werden. Ein allgemeiner Anspruch auf eine für die Aktionäre günstige Hochrechnung wird nicht begründet.
Eine Hochrechnung wird also dann nicht durchgeführt, wenn die Maßnahme innerhalb eines normalen und üblichen Zeitraums nach Bekanntgabe erfolgte. Dabei muss der Aufwand für Vorbereitungen und (Bewertungs-)gutachten berücksichtigt werden. Nach überwiegender Auffassung gilt ein 6-Monatszeitraum als üblich und unschädlich.
Das Gericht beschäftigte sich auch mit der Frage, ob die Barabfindung der Minderheitsaktionäre der Verzinsung unterliegt. Dies verneinten die Richter jedoch damit, dass ein solches Vorgehen sowohl betriebswirtschaftlich als auch juristisch systemwidrig wäre. Vor der Durchführung der Strukturmaßnahme besteht für die Minderheitsaktionäre kein Anspruch auf eine Abfindung. Deshalb ist eine Verzinsung bei der Bestimmung der Abfindung auch nicht zu beachten.
Fazit
Gemäß dem Beschluss des OLG Karlsruhe erfolgt eine Hochrechnung des Börsenkurses nur in speziellen Ausnahmefällen, in denen ein Missbrauch durch die Fixierung eines bestimmten Börsenwertes angenommen werden kann. In allen anderen Fällen bleibt es beim durchschnittlichen Börsenwert der letzten drei Monate vor dem Tag der Bekanntmachung der Strukturmaßnahme. Eine Verzinsung des Abfindungsanspruchs erfolgt nicht.