In seinem Urteil vom 05.06.2024 (VI R 20/22) setzt sich der BFH mit der Frage auseinander, ob Tantiemen eines beherrschenden Gesellschafter-Geschäftsführers, die nicht ausgezahlt und nicht in den Jahresabschlüssen passiviert wurden, steuerlich als zugeflossen gelten können.
Sachverhalt
Der Kläger ist ein beherrschender Gesellschafter-Geschäftsführer (Steuerpflichtiger) und erhält laut seinem Geschäftsführervertrag für seine Tätigkeit ein monatliches Bruttogehalt in Höhe von X €. Des Weiteren steht ihm laut Vertrag eine Tantieme in Höhe von 20 % des Jahresgewinns zu. Diese ist innerhalb eines Monats nach Feststellung des Jahresabschlusses zu zahlen. Für die Streitjahre (2015-2017) wurden die vereinbarten Tantiemen weder ausgezahlt noch hat die GmbH in den Jahresabschlüssen entsprechende Passivposten gebildet.
Für die Streitjahre gab der Kläger in den Einkommensteuererklärungen Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit ohne die Tantiemen an. Der Beklagte (Finanzamt) veranlagte ihn zunächst erklärungsgemäß.
Im Rahmen einer Lohnsteuer-Außenprüfung bei der GmbH ging das Finanzamt davon aus, dass auch die nicht ausgezahlten Tantiemen jeweils in der vereinbarten Höhe von 20 % des Gewinns des Vorjahres vom Kläger als Arbeitslohn zu versteuern seien, da bei einem Gesellschafter-Geschäftsführer Tantiemen zum Zeitpunkt der Bilanzerstellung als zugeflossen gelten. Auf die tatsächliche Auszahlung komme es nicht an, da der Gesellschafter-Geschäftsführer es selbst in der Hand habe, sich die Tantieme auszahlen zu lassen. Folglich wurden für die Streitjahre die Tantiemen der Lohnsteuer unterworfen. Hiergegen klagte der Steuerpflichtige.
Urteil des FG
Das Finanzgericht gab der Klage statt und entschied, dass vereinbarte, aber nicht ausgezahlte Tantiemen einem beherrschenden Gesellschafter-Geschäftsführer nicht zugeflossen sind, wenn die Gesellschaft keine entsprechende Verbindlichkeit passiviert hat und die Tantiemen deshalb weder in den Streitjahren noch in späteren Zeiträumen eine Auswirkung auf das Einkommen der Gesellschaft haben. Das Finanzamt beantragte, die Entscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen, da es eine Verletzung des materiellen Rechts sieht. Hiergegen legte der Beklagte (Finanzamt) Revision ein.
Urteil des BFH
Mit dem Urteil vom 05.06.2024 (VI R 20/22) stimmt der BFH der Revision des Finanzamts in Teilen zu und gibt die folgenden Leitsätze zum Zufluss nicht ausgezahlter Tantiemen bei beherrschenden Gesellschafter-Geschäftsführern vor:
1. Einnahmen aus Tantiemeforderungen gegen „seine“ Kapitalgesellschaft fließen bei einem beherrschenden Gesellschafter-Geschäftsführer bereits bei Fälligkeit zu.
2. Der Tantiemeanspruch ist mit der Feststellung des Jahresabschlusses fällig, sofern keine andere Fälligkeit vereinbart wurde.
3. Tantiemeforderungen, die in den festgestellten Jahresabschlüssen nicht ausgewiesen (d. h. nicht passiviert) sind, fließen dem beherrschenden Gesellschafter-Geschäftsführer allerdings nicht zu. Dies betrifft auch den Fall, wenn eine dahingehende Verbindlichkeit nach den Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung in den Jahresabschlüssen hätte gebildet werden müssen.
Im vorliegenden Fall wurde die Tantieme des Klägers weder gezahlt noch in den Jahresabschlüssen ausgewiesen. Nach Auffassung des BFH hat das FG daher in erster Instanz zu Recht festgestellt, dass es bei dem Gesellschafter-Geschäftsführer nicht zu einem Zufluss gekommen ist. Allerdings hat das FG versäumt zu prüfen, ob die Tantiemeansprüche dem Gesellschafter-Geschäftsführer zugeflossen sind, da dieser durch den Verzicht auf diese Ansprüche eine verdeckte Einlage in die GmbH geleistet hat.
Das FG ist nun aufgefordert zu klären, ob die unterbliebene Auszahlung und Passivierung der Tantiemeansprüche durch die GmbH auf eine einvernehmliche Aufhebung der Tantiemezusage vor dem Entstehen der Ansprüche zum Jahresende oder auf einen Verzicht des Klägers auf bereits entstandene Ansprüche zurückzuführen ist. Der Fall wurde zur weiteren Sachverhaltsklärung zurück an das FG verwiesen.