Der BGH erklärt die Schätzung des Unternehmenswerts bzw. des Werts der Beteiligung eines außenstehenden Aktionärs anhand des Börsenwerts der Gesellschaft im Rahmen eines Squeeze-out für rechtlich zulässig. Verfassungsrechtliche Bedenken sind nicht gegeben, vorausgesetzt der Börsenwert ist in der Lage, den tatsächlichen Unternehmenswert abzubilden.
Bewertungsanlass Squeeze-out
Eine Unternehmensbewertung dient dazu, den Wert eines Unternehmens als Ganzes oder den Wert von einzelnen Unternehmensanteilen zu bestimmen. Dabei ist stets zu unterscheiden, für welchen Zweck eine Bewertung durchgeführt wird. Es existieren zahlreiche Anlässe für eine Unternehmensbewertung. Eine Bewertung wird z. B. zur Bestimmung von Abfindungen für die Minderheitsaktionäre nach einem Squeeze-out durchgeführt.
Bei einem Squeeze-out hat der Hauptaktionär das Recht, die Übertragung der Aktien der Minderheitsaktionäre gegen Zahlung einer angemessenen (Bar-)Abfindung zu verlangen. Die Ermittlung der angemessenen Höhe der Barabfindung für die ausscheidenden Minderheitsaktionäre weist regelmäßig eine hohe Komplexität auf und ist Gegenstand der laufenden Rechtsprechung am Bundesgerichtshof.
Beschluss des BGH
Mit Beschluss vom 31.01.2024 (II ZB 5/22) urteilten die Richter des BGH, dass der Börsenwert als Schätzungsgrundlage für den anteiligen Unternehmenswert herangezogen werden kann. Das Gericht stellt klar, dass ein solches Vorgehen grundsätzlich zulässig ist.
Ausnahmen können nur in einzelfallbezogenen Sachverhalten gelten, wenn „ein funktionierender Kapitalmarkt nicht gegeben ist“. Dies wäre der Fall, wenn über einen längeren Zeitraum kein Handel der Aktien der Gesellschaft stattfinden würde. Als weitere Ausschlusskriterien führt der BGH unter anderem geringe Handelsvolumina oder einen geringen Streubesitz an. Liegen die vorgenannten Sachverhalte vor, ist der Börsenwert nicht in der Lage, den tatsächlichen Unternehmenswert abzubilden.
Nach der Rechtsprechung des BGH ist dabei der Durchschnittskurs innerhalb eines Referenzzeitraums von drei Monaten vor dem Stichtag der Bekanntmachung der Strukturmaßnahme ausschlaggebend.
Das BGH-Urteil stellt grundsätzlich noch einmal fest, dass eine Bewertung auf Grundlage des Börsenwertes mit dem verfassungsrechtlichen Eigentumsschutz gem. Art. 14 I GG in Einklang stehe. Das zur Bestimmung einer angemessenen Abfindung angewandte Bewertungsverfahren müsse lediglich in der Lage sein, den vollen Unternehmenswert abzubilden. Dieser Unternehmenswert beruht auf in die Zukunft gerichteten Prognosen, welche naturgemäß mit Unsicherheiten behaftet sind. Eine bestimmte Methode wie z. B. das Ertragswertverfahren, sei deshalb verfassungsrechtlich nicht vorgegeben.
Nach Auffassung des Gerichts ist der Börsenwert einer Gesellschaft eine geeignete Methode, um sowohl die bisherige Ertragslage des Unternehmens als auch dessen zukünftige Ertragsaussichten abzubilden. Hier liegt die Annahme zugrunde, dass die Marktteilnehmer auf Grundlage der ihnen zur Verfügung stehenden Informationen die Ertragskraft des Unternehmens zuverlässig bestimmen.
Schlussfolgerung
Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Bewertung der angemessenen Höhe der Barabfindung anhand des Börsenwerts können gem. dem Beschluss des BGH vernachlässigt werden. Lediglich wenn im konkreten Fall nicht von einer effektiven und funktionierenden Informationsverwertung der Marktteilnehmer ausgegangen werden kann, ist eine Heranziehung des Börsenwertes nicht sachgerecht. In der Praxis ist künftig insoweit zu prüfen, inwieweit die Bestimmung der angemessenen Abfindung der durch den Squeeze-out ausscheidenden Minderheitsaktionäre auf Basis des Börsenwerts der Gesellschaft in den letzten drei Monaten vor dem Stichtag der Bekanntmachung der Strukturmaßnahme erfolgen kann.