Die Bewertung eines Unternehmens ist eine komplexe Aufgabe, die sowohl für Investoren als auch für Rechtsexperten von entscheidender Bedeutung ist. Gerade im Rahmen eines Squeeze-out, also des Ausschlusses der Minderheitsaktionäre aus einer Gesellschaft, spielt die Unternehmensbewertung für die Bestimmung der Abfindung eine entscheidende Rolle. Dabei gibt es verschiedene Bewertungsansätze. Einem Ansatz liegt der Börsenwert zugrunde, der Aufschluss über den Wert des Unternehmens geben soll. Es ist jedoch strittig, unter welchen Voraussetzungen die Verwendung des Börsenwerts zulässig ist.
1. Grundlagen
Bei einer Unternehmensbewertung wird entweder der Wert des Unternehmens als Ganzes oder der Wert von einzelnen Unternehmensanteilen bestimmt. Dabei ist stets zu unterscheiden, für welchen Zweck eine Bewertung durchgeführt wird. Anlässe für eine Unternehmensbewertung gibt es viele. Eine Bewertung wird z. B. für die wertorientierte Unternehmensführung, für die externe Rechnungslegung gem. HGB bzw. IFRS oder zur Bestimmung von Abfindungen für die Minderheitsaktionäre nach einem Squeeze-out durchgeführt.
Unternehmensbewertung im Rahmen eines Squeeze-out
Bei einem Squeeze-out hat der Hauptaktionär das Recht, die Übertragung der Aktien der Minderheitsaktionäre gegen Zahlung einer angemessenen (Bar-)Abfindung zu verlangen. Ein solcher Ausschluss der Minderheitsaktionäre darf ab einer gewissen Schwelle, bspw. 90 % oder 95 % des Aktienkapitals, vom Mehrheitsaktionär durchgeführt werden. Der Squeeze-out wird im europäischen Gesetz betreffend Übernahmeangebote (§ 15 Richtlinie 2004/25/EG) allgemein definiert. In Deutschland ermöglicht das Aktiengesetz (§ 327a AktG) Mehrheitsaktionären mit einer Schwelle von mind. 95 % des Aktienkapitals den Ausschluss der verbleibenden Aktionäre gegen eine angemessene Barabfindung. Für die Durchführung eines verschmelzungsrechtlichen Squeeze-outs beträgt die Schwelle sogar „nur“ 90 % des Aktienkapitals, das dem Mehrheitsaktionär zuzurechnen sein muss. In beiden Fällen ist ein „Herausdrücken“ der Minderheitsaktionäre gegen angemessene Abfindung möglich. Die Ermittlung der angemessenen Höhe der Barabfindung stellt regelmäßig eine Herausforderung dar.
2. Bewertungsmethoden
Zur Bestimmung einer angemessenen Abfindung ist zunächst der Unternehmenswert der Gesellschaft zu ermitteln. Daraus ergibt sich dann der anteilige Unternehmenswert der Minderheitsaktionäre. In der Bewertungspraxis gibt es verschiedene Bewertungsmethoden. In einem Diskontierungsverfahren als fundamentale Bewertungsmethode wird der Barwert von prognostizierten Erfolgsgrößen des zu bewertenden Unternehmens unter Berücksichtigung eines Diskontierungszinssatzes berechnet. In Abhängigkeit von den diskontierten Größen und den dazugehörigen äquivalenten Diskontierungszinssätzen wird bspw. zwischen dem vereinfachten „Dividend Discount Model” (DDM), dem international stark verbreiteten „Discounted Cash-Flow” (DCF)-Verfahren und dem insb. in Deutschland angewendeten Ertragswertverfahren unterschieden.
Bei Multiplikator-Verfahren werden Bezugsgrößen von Vergleichsunternehmen, z. B. Umsatz oder EBITDA, in Relation zu deren beobachtbaren Marktpreisen gesetzt und die so ermittelten Relationen auf das zu bewertende Unternehmen übertragen. Die notwendigen Marktpreise können auf Basis von aktuellen Aktienkursen (bei Börsen-Multiplikatoren) oder historischen Transaktionen (bei Transaktions-Multiplikatoren) abgeleitet werden.
Für die Berechnung der angemessenen Barabfindung ist bei aktienrechtlichen Strukturmaßnahmen in Deutschland fast ausschließlich der Bewertungsstandard IDW S 1 („Grundsätze zur Durchführung von Unternehmensbewertungen”) ausschlaggebend, entwickelt vom Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW). Demzufolge hat das Ertragswertverfahren gemäß IDW S 1 im gerichtlichen Spruchverfahren absoluten Vorrang, soweit kein anderes Verfahren den wahren Unternehmenswert abbilden kann.
3. Ermittlung der angemessenen Abfindung
Grundsätzlich muss die Abfindung der Minderheitsaktionäre den vollen Wert ihrer Beteiligung abbilden (vgl. § 327e Abs. 3 S. 2 AktG, BVerfGE 100, 289). Dabei ist der anteilige Unternehmenswert anhand anerkannter betriebswirtschaftlicher Methoden zu bestimmen (vgl. § 287 II ZPO). Aus den gesetzlichen Grundlagen bzw. dem Recht lassen sich keine gesetzliche Normierung für die Wahl der Bewertungsmethode ableiten. In der Bewertungspraxis findet häufig das Ertragswertverfahren nach IDW S 1 Anwendung. Jedoch kommt auch dieser Bewertungsmethode kein Alleinstellungsmerkmal zu. Deshalb stellt sich die Frage, ob zur Schätzung des Unternehmenswerts (für Zwecke der Ermittlung einer angemessenen Abfindung) der Börsenkurs als Schätzungsgrundlage herangezogen werden kann. Hintergrund dieser Überlegung ist, dass sich auf einem vollkommenen und regulierten Markt wie dem Aktienmarkt der objektive Unternehmenspreis ableiten lässt, den potenzielle Erwerber bereit wären zu bezahlen.
4. Auffassung der Rechtsprechung
Über die Verwendung des Börsenkurses als Bewertungsmethode zur Ermittlung der angemessenen Barabfindung herrschte in der jüngeren Vergangenheit jedoch häufig Uneinigkeit, weshalb sie auch immer wieder Streitgegenstand in gerichtlichen Auseinandersetzungen und damit Gegenstand der Rechtsprechung geworden ist. Eine Untersuchung dieser Urteile sowie der alternativen Bewertungsmethoden bietet somit wertvolle Einsichten für Investoren, Unternehmen und Rechtsexperten.
Beschluss vom OLG Düsseldorf vom 15.12.2016 (26 W 25/12)
Das OLG Düsseldorf (26 W 25/12) beschäftigte sich in einem Spruchverfahren mit der Frage, ob der Börsenwert als Schätzungsgrundlage für die Abfindung der Minderheitsaktionäre herangezogen werden kann. Die Richter stellten jedoch fest, dass der Börsenkurs zum maßgeblichen Zeitpunkt nur beschränkt aussagekräftig sei. Die Notierung im Freiverkehr stehe der Heranziehung des Börsenkurses nicht entgegen. Jedoch müssen bestimmte Kriterien erfüllt sein, damit der Börsenkurs als Schätzungsgrundlage herangezogen werden kann. So bedarf es einer ausreichenden Liquidität der Aktien und eines vergleichbaren Informationsregimes. Auch darf keine Marktenge oder Marktmanipulation vorliegen.
Beschluss vom OLG Frankfurt vom 20.11.2019 (21 W 77/14)
Ein ähnliches Verfahren führte das OLG Frankfurt a. M. (21 W 77/14). Im Fall hinreichender Marktliquidität kann der Börsenkurs selbst dann als Schätzungsgrundlage herangezogen werden, wenn innerhalb eines Jahres zuvor ein öffentliches Übernahmeangebot abgegeben worden ist. Dies gilt allerdings nur, wenn durch das Ertragswertverfahren kein höherer innerer Wert der Aktien festgestellt werden kann. Ferner haben die Minderheitsaktionäre keinen Anspruch darauf, dass die Höhe des öffentlichen Übernahmeangebots als Untergrenze bei der Bewertung berücksichtigt wird.
Beschluss vom BGH vom 21.02.2023 (II ZB 12/21)
Mit Beschluss vom 21.02.2023 (II ZB 12/21) hat sich schließlich auch der BGH zur Anwendung des Börsenkurses für die Bestimmung einer angemessenen Abfindung nach § 305 Abs. 3 Satz 1 AktG und des festen Ausgleichs nach § 304 Abs. 2 Satz 1 AktG geäußert. Dem BGH und der vorherigen Rechtsprechung folgend ist das Vorliegen aussagekräftiger Börsenkurse ein angemessener Maßstab zur Ermittlung einer angemessenen Abfindung. „Nur wenn im konkreten Fall von der Möglichkeit einer effektiven Informationsbewertung durch die Marktteilnehmer nicht ausgegangen werden kann, sodass der Börsenkurs keine verlässliche Aussage über den Verkehrswert der Unternehmensbeteiligung erlaubt, kann der Anteilswert nicht unter Rückgriff auf den Börsenkurs ermittelt werden“ (vgl. BGH-Beschluss v. 12. März 2001). Eine effektive Informationsbewertung liegt dann vor, wenn die Marktteilnehmer rational agieren und ein Mindestmaß an Markttransparenz besteht.
Beschluss vom BGH vom 31.01.2024 (II ZB 5/22)
Mit Beschluss vom 31.01.2024 (II ZB 5/22) urteilten die Richter, dass der Börsenwert als Schätzungsgrundlage für den anteiligen Unternehmenswert herangezogen werden kann. Das Gericht stellt klar, dass ein solches Vorgehen grundsätzlich zulässig ist. Ausnahmen können nur in einzelfallbezogenen Sachverhalten gelten, in denen der Börsenwert nicht in der Lage ist, den tatsächlichen Unternehmenswert abzubilden. Das BGH-Urteil stellte grundsätzlich nochmal fest, dass eine Bewertung auf Grundlage des Börsenwertes mit dem verfassungsrechtlichen Eigentumsschutz gem. Art. 14 I GG in Einklang stehe. Das Bewertungsverfahren müsse lediglich in der Lage sein, den vollen Unternehmenswert abzubilden. Eine bestimmte Methode sei verfassungsrechtlich nicht vorgegeben, da jede denkbare Methode eine gewisse Unsicherheit beinhalte. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen eine solche Bewertungsmethode können somit vernachlässigt werden. Lediglich wenn im konkreten Fall nicht von einer effektiven und funktionierenden Informationsverwertung der Marktteilnehmer ausgegangen werden kann, ist eine Heranziehung des Börsenwertes unsachgerecht.
5. Fazit
Die Entscheidungen der Gerichte verdeutlichen die Komplexität bei der Bestimmung einer angemessenen Barabfindung und die Vielfalt der Bewertungsmethoden. Die Einbeziehung des Börsenkurses als Schätzungsgrundlage erfordert eine genaue Prüfung der Rahmenbedingungen und der Rechtsprechung. Alternative Bewertungsmethoden wie das Ertragswertverfahren (nach IDW S 1) bieten zusätzliche Optionen, um den vollen Wert der Beteiligung der Minderheitsaktionäre angemessen zu bestimmen.
Folgende Kriterien für die Heranziehung des Börsenwertes zur Bewertung der angemessenen Abfindung der auszuschließenden Minderheitsaktionäre haben sich bis dato in der Rechtsprechung herausgebildet:
- Ausreichende Aktienliquidität
- Vergleichbares Informationsregime
- Keine Marktmanipulation
Grundsatz: Börsenwert muss vollen Unternehmenswert abbilden können!
Falls nicht von einem aussagekräftigen Börsenwert ausgegangen werden kann, muss auf andere Bewertungsmethoden zurückgegriffen werden. Hier wird dann in der Regel einer Unternehmensbewertung auf Basis der Grundsätze nach IDW S 1 geboten sein.