Im Urteil vom 19. April 2023 hat das Oberlandesgericht Köln (28 WX 21/22 rkr.) das Urteil des Landesgerichts Bonn (33 T 286/22) aufgehoben und klargestellt, dass die Offenlegungspflicht auf Basis der Vorschriften des HGB und der EU-Richtlinien keine analoge Anwendung auf Drittstaaten zulassen und das Unionsrecht Vorrang hat. Ein Konzernabschluss aus einem Drittstaat kann insoweit keine Befreiungswirkung für die nationale Offenlegungspflicht des Jahresabschlusses entfalten.
Sachverhalt
In dem vorliegenden Fall wandte sich die Beschwerdeführerin (Unternehmen) gegen die Festsetzung eines Ordnungsgeldes, das aufgrund der Nichteinreichung der Rechnungslegungsunterlagen für das Geschäftsjahr 2017 beim Bundesanzeiger verhängt wurde.
Der Rechtsbeschwerdeführer (Bundesamt für Justiz) forderte das Unternehmen im September 2019 auf, seiner Offenlegungspflicht nachzukommen, und drohte ein Ordnungsgeld an. Im Oktober 2019 legte die Beschwerdeführerin Einspruch ein und begründete dies damit, dass sie gemäß §§ 264b, 264 Abs. 3 HGB von der Offenlegungspflicht befreit sei, da der Jahresabschluss Teil des Konzernabschlusses ihres Mutterunternehmens in den USA ist. Das Ordnungsgeld wurde dennoch im Juli 2020 festgesetzt. Die Beschwerdeführerin legte daraufhin Beschwerde ein. Der Rechtsbeschwerdeführer lehnte die Beschwerde ab und legte den Fall im Februar 2022 dem LG Bonn zur Entscheidung vor.
Entscheidung des LG Bonn
Das LG Bonn (33 T 286/22) hob im November 2022 die Ordnungsgeldentscheidung auf. Das LG begründete dies damit, dass die Beschwerdeführerin analog gemäß § 264b Nr. 1 lit. b HGB von der Offenlegungspflicht befreit sei. Die Vorschrift gilt in der Regel nur für Unternehmen, deren Mutterunternehmen in der EU oder im Europäischen Wirtschaftsraum ansässig sind. Dennoch entschied das Gericht, dass sie auch auf Unternehmen mit Mutterunternehmen in den USA angewendet werden kann. Der Ausschluss solcher Unternehmen würde nach Auffassung des LG Bonn gegen den Freundschafts-, Handels- und Schifffahrtsvertrag zwischen Deutschland und den USA von 1954 verstoßen, der eine ungünstigere Behandlung von US-Unternehmen im Vergleich zu deutschen Unternehmen untersagt. Das Gericht sah hierbei eine planwidrige Regelungslücke, die durch die Gesetzgebung nicht thematisiert und übersehen worden war.
Der Rechtsbeschwerdeführer wendet sich gegen den Beschluss des LG Bonn und begründet seine Rechtsbeschwerde, dass eine analoge Anwendung von § 264b Nr. 1 lit. b HGB mangels planwidriger Regelungslücke nicht in Betracht komme. Der § 264b HGB zugrunde liegende Art. 38 Abs. 2 lit. b der RL 2013/34/ EU verlangte für die entsprechende Fallgruppe ein Mutterunternehmen, das dem Recht eines Mitgliedstaats unterliegt. Ein Mutterunternehmen mit Sitz in einem Drittstaat kann daher nicht die Befreiung in Anspruch nehmen.
Urteil des OLG Köln
Das OLG Köln entschied mit Urteil vom 03.04.2024 (28 Wx 21/22), dass die Rechtsbeschwerde Erfolg hatte. Das angefochtene Urteil des Landgerichts wurde aufgehoben und die Beschwerde der Beschwerdeführerin zurückgewiesen.
Nach Auffassung des OLG ist die Rechtsbeschwerde aufgrund der Zulassung im angefochtenen Beschluss statthaft und wurde in der vorgeschriebenen Form und Frist eingereicht und begründet. Das OLG urteilt, dass die Beschwerdeführerin ihre gesetzlichen Pflichten gemäß §§ 325 ff. HGB a.F. nicht innerhalb der durch den Zugang der Androhungsverfügung in Lauf gesetzten Sechswochenfrist (§ 335 Abs. 4 Satz 1 HGB) erfüllt hat.
Keine Befreiung gem. § 264b Nr. 1 lit. 5 HGB
Nach Auffassung des OLG war die Beschwerdeführerin nicht gem. § 264b Nr. 1 lit. 5 HGB von der Offenlegung befreit.
Zum einen argumentiert das OLG, dass eine Befreiung gemäß § 264b Nr. 1 lit. a HGB nicht in Betracht kommt, da das den Konzernabschluss aufstellende Mutterunternehmen kein persönlich haftender Gesellschafter der Beschwerdeführerin ist. Zum anderen ist eine Personenhandelsgesellschaft von der Offenlegungspflicht nach § 264b Nr. 1 lit. b HGB nur dann befreit, wenn sie in den Konzernabschluss und -lagebericht eines Mutterunternehmens mit Sitz in einem EU-Mitgliedstaat oder einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum einbezogen wird. Im vorliegenden Fall hat das Mutterunternehmen seinen Sitz in einem Drittland, sodass dieser Befreiungstatbestand nicht anwendbar ist.
Keine Befreiung gem. § 264b Nr. 1 lit. b HGB analog
In seinem Urteil bestätigt das OLG, dass die Beschwerdeführerin auch nicht gemäß § 264b Nr. 1 lit. 5 HGB analog von der Offenlegung befreit war.
Demnach ist nach Ansicht des OLG eine analoge Anwendung des Befreiungstatbestands gemäß § 264b Nr. 1 lit. b HGB auf Mutterunternehmen in Drittstaaten ausgeschlossen, da diese Vorschrift eine abschließende Regelung darstellt. Die EU-Richtlinien sehen keine Erweiterung vor und eine entsprechende Regelung für Drittstaaten existiert nicht. Folglich kann der Befreiungstatbestand nicht auf Mutterunternehmen aus Drittstaaten angewendet werden. Falls es zu einem Widerspruch zwischen § 264b Nr. 1 lit. b HGB und Art. VII des Freundschafts-, Handels- und Schifffahrtsvertrags zwischen Deutschland und den USA kommt, hat das Unionsrecht Vorrang. Nach Art. 351 Abs. 2 AEUV muss der Mitgliedstaat den völkerrechtlichen Vertrag an das EU-Recht anpassen, falls es mit dem Unionsrecht unvereinbar ist. Der Vorrang des EU-Rechts über völkerrechtliche Verträge ist auch durch das Grundgesetz (Art. 59 Abs. 2 GG) anerkannt, wonach völkerrechtliche Verträge dem Rang eines einfachen Bundesgesetzes unterliegen und von späteren Gesetzen verdrängt werden können.
Folgen für die Praxis:
- Das Urteil des OLG Köln stellt nochmals klar, dass eine Personenhandelsgesellschaft nur dann von der Offenlegungspflicht befreit ist, wenn sie unter Beachtung der erforderlichen Voraussetzungen in den Konzernabschluss eines Mutterunternehmens mit Sitz in einem EU-Mitgliedstaat oder einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum einbezogen wird.
- Der Befreiungstatbestand für Mutterunternehmen in Drittstaaten ist ausgeschlossen. Die EU-Richtlinien sehen keine Erweiterung vor und eine entsprechende Regelung für Drittstaaten existiert nicht.
- Völkerrechtliche Verträge müssen an das EU-Recht angepasst werden, falls es mit dem Unionsrecht unvereinbar ist.
- Neben Personenhandelsgesellschaften dürfte die Entscheidung des OLG Köln analog auch für Kapitalgesellschaften einschlägig sein.