In der Regel ist die Einholung eines Sachverständigengutachtens bei der bilanziellen Bewertung einer risikobehafteten Forderung im Zivilprozess erforderlich. Eine Ausnahme besteht laut Bundesgerichtshof, wenn diese Einschätzung auch durch das Gericht erfolgen kann, sofern dieses ausnahmsweise selbst über die notwendige besondere Sachkunde verfügt und die Parteien zuvor darauf hinweist.
1. Sachverhalt
Im folgenden Sachverhalt geht das BGH-Urteil auf einen Rechtsstreit zweier Anleger zurück, die eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft auf Zahlung von Schadensersatz nach dem Erwerb von Hypothekenanleihen einer mittlerweile insolventen AG verklagten.
Die Kläger werfen den Prüfern vor, dass sie zu Unrecht einen Gewinn für den Jahresabschluss 2008 bestätigten. Im Jahr 2008 erwarb die AG sechs Immobilien für rund 43 Millionen Euro, die sie wiederrum an drei als GmbH & Co. KG strukturierte Fonds für 57 Millionen Euro verkauften. Die Kaufpreise waren bis Ende Mai (Fonds 1), Juli (Fonds 2) und Oktober (Fonds 3) 2009 gestundet. Die AG stellte die Kaufpreisforderung mit ihrem Nennwert als offene Forderungen in ihren Jahresabschluss für 2008 ein, der damit einen Überschuss von rund 4.736.000 Euro aufwies. Die Beklagten testierten ohne Beanstandungen zum 28.04.2009 den Jahresabschluss. In der Folgezeit gab die AG sechs Anleihen in Höhe von 300 Millionen Euro heraus. Im Vertriebsprospekt waren die Abschlussprüfer unter Hinweis auf die von ihnen erteilten uneingeschränkten Bestätigungsvermerke für die Abschlüsse 2007 und 2008 erwähnt. Im Oktober 2010 trat die AG von den Kaufverträgen der Fonds zurück, nachdem diese den Kaufpreis nicht zahlen konnten. In Folge dessen erstellte die AG rückwirkend korrigierte Jahresabschlüsse für die Jahre 2008 und 2009, dadurch verwandelte sich der Überschuss in einen Fehlbetrag. Die Kläger werfen den Prüfern i.S.d. § 826 BGB vor, sie vorsätzlich sittenwidrig geschädigt zu haben.
Während das LG Düsseldorf die Klage zurückwies, verurteilte das OLG Düsseldorf die Prüfer, da die Erteilung des Testats für 2008 nicht vertretbar gewesen sei. Nun hat sich der BGH zu dieser Frage geäußert.
2. BGH-Entscheidung vom 20.01.2022 – III ZR 194/19
In dem BGH-Urteil heißt es: Wenn eine Forderung risikobehaftet ist, ist diesem Umstand durch eine Abschreibung nach § 252 Abs. 1 Nr. 4 Halbsatz 1, § 253 Abs. 4 HGB Rechnung zu tragen. Dabei sind diese zweifelhaften Forderungen mit ihrem wahrscheinlichen Wert anzusetzen, dies ist wiederrum der Wert, mit dem sie wahrscheinlich realisiert werden könnten, grundsätzlich ist eine Einzelbewertung jeder Forderung vorzunehmen.
Ein (wegen Ausfallrisikos) unter ihrem Nennbetrag liegender Wert von Geldforderungen kann im Allgemeinen nur im Wege der Schätzung ermittelt werden. Hierbei kommt dem Ermessen des Kaufmanns eine besondere Bedeutung zu. Maßgebend hierfür ist, ob ein vorsichtig bewertender Kaufmann nach der allgemeinen Lebenserfahrung aus den jeweiligen Umständen des Einzelfalles die Annahme eines Forderungsausfalls herleiten darf. Die Ermittlung der Zahlungsfähigkeit und der Bonität eines Schuldners sind dabei individuell nach dessen Verhältnissen durchzuführen. Die Schätzung muss eine objektive Grundlage in den am Abschlussstichtag gegebenen Verhältnissen finden. Schätzungen, die auf bloßen pessimistischen Prognosen zur zukünftigen Entwicklung beruhen, sind unbeachtlich.
In zeitlicher Hinsicht sind bei der Bewertung gemäß § 252 Abs. 1 Nr. 4 Halbsatz 1 HGB alle vorhersehbaren Risiken und Verluste, die bis zum Abschlussstichtag entstanden sind, zu berücksichtigen. Dies gilt auch, wenn diese erst zwischen dem Abschlussstichtag und dem Tag der Aufstellung des Jahresabschlusses erfolgen. Der zu berücksichtigende Umstand selbst muss jedoch bereits zum Abschlussstichtag vorgelegen haben. Unberücksichtigt müssen dagegen wertbegründende oder wertbeeinflussende Tatsachen, die erst nach dem Abschlussstichtag entstanden sind. Demnach erfordert laut dem III. Zivilsenat des BGH die Beurteilung der Forderungen einen besonderen kaufmännischen und bilanztechnischen Sachverstand. In der Regel wird bei einem Zivilprozess die Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Beurteilung der richtigen bilanziellen Bewertung benötigt. Eine Ausnahme besteht allenfalls dann, wenn das Gericht selbst über die notwendige besondere Sachkunde verfügt. Der BGH stellt in seinem Urteil fest, dass die Richter des OLG nicht das erforderliche Fachwissen besitzen, um die Kaufpreisforderungen zum maßgeblichen Stichtag selbst bilanziell richtig bewerten zu können. Deshalb hätte die Wertlosigkeit der Forderungen nicht ohne Einholung eines Sachverständigengutachtens als richtig festgestellt werden dürfen. Derzeit könne nicht beurteilt werden, ob die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft die Kläger vorsätzlich sittenwidrig geschädigt i.S.d. § 826 BGB habe. Da bislang Feststellungen dazu fehlten, wie die Forderungen zu dem maßgeblichen Zeitpunkt zu bewerten waren und ob gegebenenfalls das Testat objektiv fehlerhaft gewesen sei, verwies der BGH die Sache zurück an das OLG.