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EuGH-Vorlage zur umsatzsteuerlichen Organschaft

Nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 S. 1 UStG liegt eine Organschaft vor, wenn ein Unternehmen (Organgesellschaft) in ein anderes Unternehmen (Organträger) finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch eingegliedert ist. Bereits in der Vergangenheit waren die Voraussetzungen der umsatzsteuerlichen Organschaft regelmäßig Gegenstand der Rechtsprechung von BFH und EuGH. Vor diesem Hintergrund hat der BFH im Rahmen eines Verfahrens den EuGH um Vorabentscheid ersucht (Az.: BFH XI R 16/18), um zu klären, ob bestimmte nationale Eingliederungsvoraussetzungen gegen das Unionsrecht verstoßen. Die Entscheidung des EuGH könnte weitreichende umsatzsteuerrechtliche Konsequenzen haben.

Sachverhalt

Das Ausgangsverfahren betrifft eine umsatzsteuerliche Organschaft zwischen einer Körperschaft des öffentlichen Rechts (Organträgerin) sowie einer GmbH (Organgesellschaft). Die Organträgerin hält 51 % der Anteile an der GmbH, während die restlichen 49 % der Anteile von einem eingetragenen Verein gehalten werden. Aufgrund einer besonderen Regelung im Gesellschaftsvertrag verfügt die Organträgerin – trotz der Anteilsmehrheit – nicht über die Mehrheit der Stimmrechte. Das zuständige Finanzamt sah die Voraussetzungen einer umsatzsteuerlichen Organschaft mangels Vorliegens der finanziellen Eingliederung als nicht gegeben an. Die gegen die Auffassung des Finanzamts gerichtete Klage landete schließlich zur Entscheidung beim BFH.

Entscheidung

Der BFH folgt grundsätzlich der Auffassung des Finanzamts und weist darauf hin, dass nach deutschem Rechtsverständnis die für die Organschaft erforderliche Voraussetzung der finanziellen Eingliederung in Form der Stimmrechtsmehrheit nicht gegeben ist. Hintergrund ist, dass nach deutscher Rechtslage ein Über- bzw. Unterordnungsverhältnis zwischen Organträger und Organgesellschaft erforderlich ist, das es dem Organträger ermöglicht, durch Mehrheitsbeschlüsse seinen Willen durchzusetzen. Dies setzt voraus, dass der Organträger über mehr als 50 % der Stimmrechte bei der Organgesellschaft verfügen muss. Nach Auffassung des BFH steht die deutsche Rechtslage jedoch im Widerspruch zur Rechtsprechung des EuGH (Larentia + Minerva), wonach das Unionsrecht einer nationalen Regelung entgegensteht, die die Bildung einer Mehrwertsteuergruppe (Organschaft) allein den Unternehmensgruppen vorbehält, die mit dem Organträger durch ein Über- und Unterordnungsverhältnis verbunden sind. Nach der EuGH-Rechtsprechung ist im Unterschied zum deutschen Recht nicht nur der Organträger als Unternehmer anzusehen, sondern der gesamte Organkreis (die Mehrwertsteuergruppe).

Aufgrund dieser europarechtlichen Zweifel hat der BFH an den EuGH die (zentrale) Frage gerichtet, ob die deutsche Regelung, wonach der Organträger zum Steuerpflichtigen des Organkreises bestimmt wird, mit dem Unionsrecht vereinbar ist. Für den Fall, dass der EuGH diese Frage verneint, legt der BFH dem EuGH die Frage vor, ob sich ein einzelner Unternehmer direkt auf das aus seiner Sicht günstigere (und dem deutschen Rechtsverständnis entgegenstehende) Unionsrecht berufen kann. Des Weiteren fragt der BFH, ob im Rahmen der Prüfung der Voraussetzungen der finanziellen Eingliederung eher ein strenger oder großzügiger Maßstab anzulegen ist. Abschließend möchte der BFH wissen, inwieweit der Organträger – wie nach deutschem Recht gefordert – in der Lage sein muss, seinen Willen bei der Organgesellschaft durchsetzen zu können.

Auswirkungen auf die Praxis

Der BFH hat grundlegende Fragen zur Ausgestaltung der deutschen Regelung zur umsatzsteuerlichen Organschaft an den EuGH gestellt. Die Entscheidung des EuGH könnte weitreichende Konsequenzen auslösen sowie Auswirkungen auf die Fortgeltung der nationalen Regelungen zur umsatzsteuerlichen Organschaft haben. Sollte der EuGH zu dem Ergebnis gelangen, dass anstelle des Organträgers der Organkreis als Steuerschuldner anzusehen ist, könnten sich daraus zudem Aufkommensrisiken für den Fiskus ergeben.

Rechtsfolge ist, dass der Organträger als alleiniger Unternehmer und Steuerschuldner anzusehen ist und Leistungsbeziehungen zwischen Organträger und Organgesellschaft (Organkreis) als nicht steuerbare Innenumsätze anzusehen sind, für die keine Umsatzsteuer geschuldet wird.

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