Im Abzugsteuerentlastungsmodernisierungsgesetz (AbzStEntModG) vom 02.06.2021 wurde nicht nur der § 1 AStG geändert, sondern in diesem Zusammenhang auch die Verrechnungspreisgrundsätze im Außensteuerrecht umfangreich überarbeitet und neu gefasst. Dabei werden neben den Gesetzesänderungen, bestehenden BMF-Schreiben und BFH-Entscheidungen insbesondere auch die OECD-Verrechnungspreisrichtlinien integriert. Die neuen Verwaltungsgrundsätze-Verrechnungspreise bilden damit den vorläufig letzten Baustein einer „Reform“ der Verrechnungspreisregeln.
1. Gegenstand und Aufbau des BMF-Schreibens „Verwaltungsgrundsätze Verrechnungspreise“
Die Verwaltungsgrundsätze Verrechnungspreise (im Folgenden: „VWG VP“) vom 14.07.2021 (IV B 5 – S 1341/19/10017 :001) ersetzen die seit fast 40 Jahren gültigen „Grundsätze für die Prüfung der Einkunftsabgrenzung bei international verbundenen Unternehmen“ vom 23.02.1983 (VWG 1983). In den VWG VP werden bereits bestehende BMF-Schreiben konsolidiert. Das Schreiben ist so konzipiert, dass künftige Entwicklungen eingearbeitet werden können, ohne dass selbständige neue BMF-Schreiben nötig sind. Damit sind letztlich nur noch folgende Verwaltungsschreiben im Bereich Verrechnungspreise maßgeblich: Neben den VWG VP, die Verwaltungsgrundsätze 2020 und die Verwaltungsgrundsätze Betriebsstättengewinnaufteilung (VWG BsGa) sowie die Verwaltungsgrundsätze Funktionsverlagerung.
Die Veröffentlichung der neuen Verwaltungsgrundsätze war überfällig, da die bisherigen Verwaltungsanweisungen an die neue Fassung des § 1 AStG, zwischenzeitlich ergangene EuGH- und BFH-Rechtsprechung sowie an internationale Entwicklungen auf OECD-Ebene, angepasst werden mussten.
Die VWG VP gliedern sich in sechs Kapitel.
- Grundsätze der Einkünftekorrektur,
- Bedeutung der OECD-Verrechnungspreisleitlinien für die Prüfung der grenzüberschreitenden Geschäftsbeziehungen,
- Leitlinien,
- weitere allgemeine Grundsätze,
- Glossar und
- Aufhebung von BMF-Schreiben und Anwendungsvorschrift.
2. Auslegung des Fremdvergleichsgrundsatzes
Die Verwaltung hebt unter Berufung auf Gesetz und gefestigter Rechtsprechung hervor, dass für die Betrachtung der Geschäftsbeziehungen zwischen einem Steuerpflichtigen und einer ihm nahestehenden Person, die dem jeweiligen Geschäftsvorfall zugrunde liegenden tatsächlichen Verhältnisse nach ihrem wirtschaftlichen Gehalt maßgebend sind und daher die Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes die umfassende Sachverhaltsaufklärung und -würdigung im jeweiligen Einzelfall erfordert (Kap. III, Abschnitt A Tz. 3.2).
Im Rahmen des geltenden innerstaatlichen Rechts orientiert sich die Finanzverwaltung grundsätzlich an den OECD-Verrechnungspreisrichtlinien (Kap. III, Abschnitt A Tz. 2.2).
Die Orientierung an der Rechtsgrundlage wird aber im Folgenden gleich wieder eingeschränkt, indem darauf verwiesen wird, dass der Fremdvergleichsgrundsatz vor allem auf der „Anwendung von ökonomischen Prinzipien“ beruhe und deshalb „genügend Flexibilität“ enthalte, um auf aktuelle Entwicklungen (z.B. die fortschreitende Digitalisierung der Wirtschaft) „ohne weitere gesetzliche Maßnahmen“ reagieren zu können (Kap. III, Abschnitt A Tz. 2.3). Die Finanzverwaltung will sich also Handlungsfreiheit im Hinblick auf die Fortschreibung der OECD-Verrechnungspreisrichtlinien verschaffen. Das erscheint bedenklich, da die Auslegung immer nur so weit reichen kann, wie diese durch den Gesetzeswortlaut der jeweiligen Rechtsvorschrift noch gedeckt ist.
Festzuhalten bleibt, dass die OECD-Verrechnungspreisrichtlinien für den Steuerpflichtigen und die Finanzgerichte nicht verbindlich sind. Durch das neue BMF-Schreiben liegt lediglich eine gewisse Selbstbindung der Finanzverwaltung vor.
An anderer Stelle wird jedoch von den OECD-Grundsätzen abgewichen: So sind laut Kap. III, Abschnitt A Tz. 3.4 „nicht die Gewinne zu ermitteln, die der Steuerpflichtige erzielt hätte, wenn er gänzlich unabhängig gewesen wäre, sondern diejenigen, die er als ein einer Unternehmensgruppe zugehöriges Unternehmen bei Vereinbarung von Bedingungen wie zwischen voneinander unabhängigen Dritten erzielt hätte“.
Der Wortlaut des § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG „zwischen voneinander unabhängigen Dritten“ lässt keinen Raum für eine solche Auslegung. Außerdem widersprechen die VWG VP hier den OECD-Verrechnungspreisleitlinien, wonach der Fremdvergleichsgrundsatz den Ansatz verfolgt, dass „die Unternehmen eines multinationalen Konzerns als selbständige Unternehmen und nicht als untrennbare Teile eines einzigen einheitlichen Unternehmens zu behandeln sind (sogenannte „separate entity approach, Grundsatz des selbständigen Unternehmens“). Nach Auffassung der OECD soll also die Konzernzugehörigkeit gerade ausgeblendet werden.
Dieses Auseinanderfallen der deutschen Verwaltungsauffassung und OECD-Auslegung birgt in der Praxis ein großes Risiko von Doppelbesteuerung.
3. Hypothetischer Fremdvergleich
Der hypothetische Fremdvergleich basiert auf § 1 Abs. 3 S. 5 AStG und wird angewendet, wenn für eine Geschäftsbeziehung keine eingeschränkt vergleichbaren Fremdvergleichswerte ermittelbar sind. Der hypothetische Fremdvergleich zielt darauf ab, einen sogenannten Einigungsbereich aus Mindestpreis des Leistenden und Höchstpreis des Leistungsempfängers zu bilden. Innerhalb dieser Grenzen ist dann der Wert anzusetzen, welcher dem Fremdvergleichsgrundsatz mit der höchsten Wahrscheinlichkeit entspricht. Wird kein anderer Wert glaubhaft gemacht, ist der Mittelwert des Einigungsbereichs anzusetzen.
Problematisch bei diesem Ansatz ist, dass ein Geschäft immer nur zustande kommt, wenn der Mindestpreis des Leistenden unter dem Höchstpreis des Leistungsempfängers liegt. Dennoch ordnet nun VWG VP in Kap. III, Abschnitt B Tz. 3.17 an, dass im umgekehrten Fall, d.h., dass der Mindestpreis über dem Höchstpreis liegt „die Differenz zwischen den beteiligten Unternehmen aufzuteilen“ ist. Wenn z.B. der Leistende einen Mindestpreis von EUR 10.000 ansetzt während der Leistungsempfänger einen Höchstpreis von EUR 8.000 zahlen will, wäre das Ergebnis des hypothetischen Fremdvergleichs EUR 9.000.
Diese, dem Fremdvergleichsgrundsatz eher konterkarierende Regelung, soll nun gemäß auch auf die Höhe der Lizenzgebühren anwendbar sein.
4. Immaterielle Vermögenswerte
Mit § 1 Abs. 3c S. 2 AStG wird erstmals eine Definition immaterieller Werte eingeführt. Darunter sind Vermögenswerte zu verstehen, (1) die weder materielle Wirtschaftsgüter oder Beteiligungen noch Finanzanlagen sind, (2) die Gegenstand eines Geschäftsvorfalls sein können, ohne einzeln übertragbar sein zu müssen, und (3) die einer Person eine tatsächliche oder rechtliche Position über diesen Vermögenswert vermitteln können. Der Begriff der immateriellen Werte kam bislang nur im Rahmen der Betriebsstättengewinnabgrenzung vor.
Ein immaterieller Wert ist demnach gerade nicht identisch mit dem handelsrechtlichen Begriff „immaterieller Vermögensgegenstand“ oder dem steuerrechtlichen Begriff „immaterielles Wirtschaftsgut“. Vielmehr ist die Schwelle deutlich niedriger, sodass bereits ein immaterieller Wert vorliegen kann, ohne dass dieser ein Wirtschaftsgut darstellt.
Für Geschäftsbeziehungen mit immateriellen Werten sollen die allgemeinen Grundsätze gelten. Es ist eine geeignete Verrechnungspreismethode anzuwenden. Der tatsächliche Fremdvergleich hat nach § 1 Abs. 3 S. 7 AStG uneingeschränkt Vorrang. Wenn verlässliche Fremdvergleichswerte für die Transaktion festgestellt werden können, kommt ein hypothetischer Fremdvergleich nicht in Betracht. Die Finanzverwaltung geht hingegen grundsätzlich davon aus, dass keine Fremdvergleichswerte ermittelbar sind und bezeichnet deshalb ausschließlich den hypothetischen Fremdvergleich als geeignet (Kap. III, Abschnitt B Tz. 3.12). Die Lizenzgebühr für die Überlassung von Markenrechten soll sich im Regelfall nach dem hypothetischen Fremdvergleich bemessen (Kap. III, Abschnitt F.2 Tz. 3.59). Diese Auffassung entbehrt einer Rechtsgrundlage und ist deshalb kritikwürdig. So kann für die Lizenzierung von immateriellen Werten auf die Preisvergleichsmethode zurückgegriffen werden, die fremdübliche Lizenzsätze aus Lizenzdatenbanken ableitet. Bei der Überlassung von Markenrechten kommt ggf. ein interner Preisvergleich in Frage, wenn das Markenrecht auch an fremde Unternehmen gegen Lizenzgebühr überlassen wird.
Eine Entgeltfähigkeit der Höhe soll nur vorliegen, wenn der Nutzende aus einer tatsächlichen oder rechtlichen Nutzungseinräumung einen wirtschaftlichen Vorteil erlangen kann (Kap. III, Abschnitt F.1 Tz. 3.49). Ein ordentlicher Geschäftsmann wäre nur insoweit bereit Nutzungsentgelte zu entrichten, als ihm ein angemessener Betriebsgewinn verbleibt (Kap. III, Abschnitt F.1 Tz 3.51). Die Verrechnung von Nutzungsentgelten entspricht nur dem Fremdvergleichsgrundsatz, wenn die Überlassung des immateriellen Werts nicht im Preis der Lieferung und Leistung mit abgegolten ist (Kap. III, Abschnitt F.1 Tz. 3.50).
5. Umsetzung des DEMPE-Konzepts
Das sogenannte DEMPE-Konzept („concept of development, enhancement, maintenance, protection and exploitation of intangibles“) der OECD wurde auf der Grundlage des Aktionspunkts 8 des sogenannten BEPS-Projekts der OECD entwickelt und in die OECD-Leitlinien 2017 übernommen. Für das DEMPE-Konzept gibt es in § 1 Abs. 3c S. 4 AStG n.F. erstmals eine Rechtsgrundlage. Wesentliche Details sind jedoch in den VWG VP geregelt.
Nach diesem Ansatz bilden die Eigentumsverhältnisse an einem immateriellen Wert zwar den Ausgangspunkt der Verrechnungspreisanalyse. Für die Zuordnung des Gewinns kommt es hingegen darauf an, wer die wesentlichen Wertschöpfungsbeiträge im Hinblick auf diesen Vermögensgegenstand erbracht hat (§ 1 Abs. 3c S. 4 AStG n.F.). Folgende Funktionen sind dabei von Bedeutung:
- Entwicklung (Development);
- Verbesserung (Enhancement);
- Erhaltung (Maintenance);
- Schutz (Protection);
- Verwertung (Exploitation).
Die Zuordnung dieser Funktionen erfolgt für jeden immateriellen Wert auf der Grundlage einer entsprechenden Funktions- und Risikoanalyse. Die Funktions- und Risikoanalyse ist als Ausgangspunkt zur Bestimmung des Fremdvergleichspreises in der Praxis kein Novum und jetzt auch in § 1 Abs. 3 AStG n.F. (bis VZ 2021: „Funktionsanalyse“) konkretisiert. Die Finanzverwaltung schließt sich insofern aber der OECD an, als die DEMPE-Funktionen in einer eigenen Funktions- und Risikoanalyse dokumentiert werden müssen. Zudem soll nachgewiesen werden, dass die betroffenen Unternehmen auch die Kapazitäten zur Risikoübernahme und -kontrolle besitzen. Das wird voraussichtlich ebenfalls zu einem erhöhten Dokumentationsaufwand führen.
Nach dem DEMPE-Konzept ist denjenigen Konzernunternehmen, welche die vorgenannten Funktionen und Risiken ausüben bzw. tragen, in einem zweiten Schritt der Ertrag aus dem jeweiligen immateriellen Wert (ggf. anteilig) zuzuordnen. Für den nach den DEMPE-Funktionen bestehenden Gewinnanspruch von Konzerngesellschaften wurde in der Fachliteratur der Begriff „funktionales Eigentum“ im Sinne eines faktischen Fruchtziehungsrechts geprägt, welches vom zivilrechtlichen oder wirtschaftlichen Eigentum an einem immateriellen Vermögensgegenstand abweichen kann.
Soweit die Erträge einem anderen als dem funktionalen Eigentümer zufließen – etwa dem zivilrechtlichen Eigentümer – sind sie nach dem DEMPE-Konzept so „weiterzuleiten“, dass die Allokation der Gesamterträge aus dem immateriellen Wert der Verteilung der DEMPE-Funktionen entspricht.
6. Aufhebung von Verwaltungsregelungen und Anwendungszeitpunkt
Das Schreiben ist gemäß Kap. VI Tz. 6.3 auf alle offenen Fälle anzuwenden. Damit sind auch laufende Betriebsprüfungsfälle betroffen. Im großem Umgang handelt es sich lediglich um eine andere Ausgestaltung der schon bisher geltenden Grundsätze. Wegen der Integration der Inhalte bereits bestehender BMF-Schreiben werden eine Vielzahl von diesen aufgehoben.
Im Zusammenhang der Einführung des sogenannten DEMPE-Konzepts (siehe Punkt 5) wirft die Anwendungsregel jedoch Fragen auf. Die diesbezügliche Fassung des § 1 Abs. 3c AStG ist nämlich erst ab dem Veranlagungszeitraum 2022 anwendbar (vgl. § 21 Abs. 1 AStG). Laut Gesetzesbegründung soll mit der Einführung der Vorschrift keine Neuerung im Hinblick auf die Behandlung von immateriellen Werten verbunden sein. Diese Auffassung überrascht schon deshalb, da erstmals eine Definition „immateriellen Werten“ eingeführt wird, welche erkennbar an die OECD Definition angelehnt ist, ohne jedoch damit übereinzustimmen.
7. Aufhebung von Verwaltungsregelungen und Anwendungszeitpunkt
Das Schreiben ist gemäß Kap. VI Tz. 6.3 auf alle offenen Fälle anzuwenden. Damit sind auch laufende Betriebsprüfungsfälle betroffen. Im großem Umgang handelt es sich lediglich um eine andere Ausgestaltung der schon bisher geltenden Grundsätze. Wegen der Integration der Inhalte bereits bestehender BMF-Schreiben werden eine Vielzahl von diesen aufgehoben.
Im Zusammenhang der Einführung des sogenannten DEMPE-Konzepts (siehe Punkt 5) wirft die Anwendungsregel jedoch Fragen auf. Die diesbezügliche Fassung des § 1 Abs. 3c AStG ist nämlich erst ab dem Veranlagungszeitraum 2022 anwendbar (vgl. § 21 Abs. 1 AStG). Laut Gesetzesbegründung soll mit der Einführung der Vorschrift keine Neuerung im Hinblick auf die Behandlung von immateriellen Werten verbunden sein. Diese Auffassung überrascht schon deshalb, da erstmals eine Definition „immateriellen Werten“ eingeführt wird, welche erkennbar an die OECD Definition angelehnt ist, ohne jedoch damit übereinzustimmen.