Die Digitalisierung hat in den letzten Jahren zu einer rasanten Zunahme von Online-Dienstleistungen geführt, insbesondere im Bereich von Veranstaltungen, Bildung und Kultur. Diese Entwicklung stellt die Umsatzbesteuerung vor neue Herausforderungen, da die bestehenden Regelungen oft nicht eindeutig auf digitale Angebote anwendbar sind.
Mit Schreiben vom 29.04.2024 hat das BMF konkrete Regelungen hinsichtlich der umsatzsteuerlichen Einordnung von Umsätzen aus Online-Veranstaltungsdienstleistungen und weiteren Online-Dienstleistungsangeboten getroffen.
Hintergrund: Zunehmend finden Veranstaltungen in den Bereichen Sport, Bildung, Unterhaltung, aber auch Kunst und Kultur nicht nur in Präsenz, sondern immer häufiger via Live-Übertragung oder als abrufbare Aufzeichnung über das Internet statt. Die Möglichkeiten der Zurverfügungstellung von Inhalten sind dabei vielfältig: Vorproduzierte Inhalte, Live-Übertragungen, Streaming mit persönlicher Teilnahme oder auch Mischfälle.
Eine elementare Rolle spielen dabei Online-Plattformen oder soziale Netzwerke.
Auf elektronischem Wege erbrachte sonstige Leistungen können z. B. sein:
- Bereitstellung von Software, Websites, Online-Speicherplatz, Datenbanken, Spiele-Apps, Sendungen
und Veranstaltungen - Gewährung des Zugangs zu Bildern, Texten, Videos und das Herunterladen dieser
- Online-Versteigerungen
- Fernwartung von Software, Website, Apps usw.
- Bezug von elektronischen Medien, E-Books, Musik
- Benutzung von Suchmaschinen im Rahmen einer Datenbank
Es wird grundsätzlich zwischen verschiedenen Arten von Online-Dienstleistungen und deren umsatzsteuerlicher Behandlung unterschieden:
- Vorproduzierte Inhalte
- Livestreaming
- Dienstleistungskommissionen
- Leistungskombinationen
Diese Differenzierung ist entscheidend für die umsatzsteuerliche Behandlung und hat signifikante Auswirkungen auf die Anwendbarkeit von Steuerbefreiungen und ermäßigten Steuersätzen.
Vorproduzierte Inhalte
Bei vorproduzierten Inhalten handelt es sich um Aufzeichnungen, die digital zum Abruf bereitgestellt werden. Das BMF-Schreiben klassifiziert diese als „auf elektronischem Weg erbrachte sonstige Leistungen“ gemäß § 3a Absatz 5 Satz 2 Nummer 3 UStG. Für diese Leistungen gilt folgendes:
Der Leistungsort richtet sich bei Leistungen an Nichtunternehmer nach dem Wohnsitz des Leistungsempfängers.
Das bedeutet, dass vorproduzierte Inhalte grundsätzlich dem regulären Umsatzsteuersatz in Höhe von 19 % unterliegen, sofern der Leistungsempfänger seinen Wohnsitz im Inland hat.
Es ist dabei zu beachten, dass sich der Leistungsort bei Leistungserbringung an Privatpersonen mit Wohnsitz in anderen EU-Mitgliedstaaten dorthin verlagert und deutsche Anbieter dementsprechend die dort geltende Umsatzsteuer schulden.
Für diese Art von Leistungen kommen weder Steuerbefreiungen noch ermäßigte Steuersätze in Betracht.
Dies kann, insbesondere im Bildungsbereich, in welchem aufgezeichnete Webinare und Online-Kurse häufig genutzt werden, problematisch sein.
Livestreaming
Livestreaming-Angebote gelten als sonstige Leistung mit unterrichtendem oder unterhaltendem Charakter. Für diese Kategorie gelten folgende Regelungen:
- Ab dem 01.01.2025 gilt als Leistungsort der Wohnsitz des Leistungsempfängers (§ 3a Absatz 3 Nummer 3 Buchstabe a UStG).
- Steuerbefreiungen nach § 4 Nr. 14, Nr. 20, Nr. 21 und Nr. 22 UStG können anwendbar sein.
- Die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes nach § 12 (2) Nr. 7a UStG ist möglich, sofern keine Steuerbefreiung greift.
Diese Differenzierung eröffnet für Livestreaming-Angebote, beispielsweise für Bildungs- oder Kulturveranstaltungen, deutlich mehr Möglichkeiten hinsichtlich Steuerbefreiungen und ermäßigter Steuersätze.
Im Gegenzug wird aber eine ursprünglich steuerbefreite Live-Veranstaltung durch die kostenlose Bereitstellung einer Aufzeichnung vollständig steuerpflichtig.
Dienstleistungskommissionen
Erbringt ein Unternehmer eine sonstige Leistung in eigenem Namen, aber für fremde Rechnung, so handelt es sich umsatzsteuerlich um eine Dienstleistungskommission.
Die leistungsbezogenen Merkmale der Steuerbefreiung oder -ermäßigung sind sowohl auf die an den Auftragnehmer erbrachte als auch auf die von ihm ausgeführte Leistung anzuwenden. Dies betrifft insbesondere Betreiber von Streaming-Plattformen, die ihre Geschäftsmodelle entsprechend überprüfen sollten.
Dabei ist auch für den Unternehmer, der die Plattform nutzt, auf die vertraglichen Vereinbarungen abzustellen. Kommt es an dieser Stelle nicht zur Annahme einer Dienstleistungskommission, ist der Unternehmer selbst für die Versteuerung am Ort des Wohnsitzes der Endverbraucher verantwortlich.
Durch die Qualifizierung als Dienstleistungskommission kommt es zu einer Übertragung der umsatzsteuerlichen Meldepflicht auf die Plattformbetreiber. Diese Regelung wird in der Praxis auch einfach zu handhaben sein, da die Plattformen tatsächlich den Wohnort der Abnehmer einsehen und überwachen können. Soweit die Plattform durch Genehmigung von Inhalten, oder die Autorisierung von Abrechnungen die allgemeinen Bedingungen der Erbringung festlegt, kann grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass sie sich an der Erbringung der elektronischen Dienstleistung beteiligt.
Leistungskombinationen
Das BMF differenziert hier zwischen einheitlichen Leistungen und selbständigen Leistungen. Werden Livestreaming und Aufzeichnung als Paket ohne gesondertes Entgelt angeboten, liegt eine einheitliche Leistung vor, die dem Regelsteuersatz unterliegt. Eine Aufteilung des Entgelts erfolgt hier nicht.
Wird hingegen für den Abruf der Aufzeichnung ein separates Entgelt erhoben, handelt es sich um zwei selbständige Leistungen, die getrennt zu beurteilen sind. Nur wenn für den Abruf der Aufzeichnung ein gesondertes Entgelt oder ein Aufpreis erhoben wird, liegen zwei selbstständige Leistungen vor, die unterschiedlich zu beurteilen sind.
Diese Regelung kann insbesondere für Anbieter, die bisher Steuerbefreiungen in Anspruch genommen haben, problematisch sein.
Übergangsregelung und Handlungsbedarf
Seit dem 01.07.2024 müssen die neuen Regelungen des BMF-Schreibens zwingend angewendet werden.
Diese haben weitreichende Konsequenzen für verschiedene Branchen, darunter Bildungseinrichtungen, Kulturveranstalter, aber auch Influencer und Streamer. Besonders betroffen sind Anbieter, die bisher ihre Leistungen steuerfrei oder zum ermäßigten Steuersatz anbieten konnten. Die neuen Regelungen könnten in der Praxis zu erheblichen Schwierigkeiten bei der Unterscheidung zwischen steuerfreien und steuerpflichtigen Bildungsleistungen führen. Es kann hier zu Abgrenzungsschwierigkeiten kommen, insbesondere bei hybriden Angeboten.
Es muss geprüft werden, ob die Angebote unter die neuen Regelungen fallen und gegebenenfalls Umsatzsteuer zum Regelsteuersatz abgeführt werden muss.
Bei Verträgen über längerfristige Angebote (z. B. Abonnements, Halbjahreskurse), die vor dem 01.07.2024 abgeschlossen wurden, aber darüber hinaus bestehen, können Probleme entstehen, wenn von einer steuerfreien Leistung ausgegangen wurde.
Grundsätzlich eröffnen die Klarstellungen des BMF Chancen für eine steuerlich rechtssichere Gestaltung von Online-Angeboten. Es bestehen jedoch Fragen zur Vereinbarkeit mit EU-Recht und internationalen Abkommen, insbesondere hinsichtlich der Bestimmung des Leistungsorts bei grenzüberschreitenden Sachverhalten.
Zukünftige Gerichtsentscheidungen werden voraussichtlich mehr Klarheit und möglicherweise auch Anpassungen der Verwaltungsauffassung mit sich bringen.
Weitere zu beurteilende Thematiken können die Berücksichtigung von Werbegeschenken als Gegenleistung (tauschähnlicher Umsatz) oder sog. Donations (Spenden) während des Livestreamings sein. Das FG Düsseldorf hat mit Urteil v. 04.03.2022 entschieden, dass entsprechende Leistungen im Leistungsaustausch erfolgen und daher umsatzsteuerlich steuerbar und steuerpflichtig sind.
Handlungsempfehlung
Angesichts der komplexen Neuregelungen ergeben sich folgende Handlungsempfehlungen, um die korrekte Anwendung des BMF-Schreibens sicherstellen zu können:
Das gesamte Portfolio an Online-Dienstleistungen sollte erfasst und gemäß den Vorgaben des BMF-Schreibens kategorisiert werden (vorproduzierte Inhalte, Livestreaming, Leistungskombinationen).
Für jede Leistungsart ist zu bestimmen, wo der umsatzsteuerliche Leistungsort liegt, insbesondere bei grenzüberschreitenden Leistungen. Die ab 2025 geltenden Änderungen für Livestreaming-Angebote sind dabei zu beachten.
Darüber hinaus sollte jede Leistung außerdem dahingehend geprüft werden, ob Steuerbefreiungen oder ermäßigte Steuersätze anwendbar sind. Zu beachten sind hier die Einschränkungen für vorproduzierte Inhalte.
In ausgewählten Fällen kann es dann auch zu Anpassungen hinsichtlich der Preisstruktur kommen. Die Einführung separater Entgelte für Livestreaming und Aufzeichnungen könnte dabei von Vorteil sein.
Dahingehend sind außerdem die AGBs und Kundenverträge zu prüfen, um die neuen steuerlichen Gegebenheiten zu berücksichtigen, insbesondere im Hinblick auf Klauseln zur Nachberechnung von Umsatzsteuer.