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Festsetzung von Zin­sen auf­grund Entschei­dung des Bundes­verfassungs­gerichts

Vorgaben der Finanzverwaltung zur Festsetzung von Nachzahlungs- und Erstattungszinsen

Wie in unserer  News vom 19.08.2021 berichtet, hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) entschieden (Az. 1 BvR 2237/14, 1 BvR 2422/17), dass die Verzinsung von Steuernachforderungen und Steuererstattungen (§ 233a i.V.m. § 238 Abs. 1 Satz 1 AO) verfassungswidrig ist, soweit der Zinsberechnung für Verzinsungszeiträume ab dem 01.01.2014 ein Zinssatz von monatlich 0,5 % zugrunde gelegt wird (6 % p.a.). Allerdings soll das bisherige Recht für alle Verzinsungszeiträume bis einschließlich 2018 weiter anwendbar bleiben.

Da es noch an einer Neuregelung fehlt, welche der Gesetzgeber bis zum 31.07.2022 umsetzen muss, hat das Bundesfinanzministerium (BMF) in einem Schreiben vom 17.09.2021 (IV A 3 – S 0338/19/10004:005) festgelegt, wie die Finanzverwaltung in den verschiedenen Konstellationen bei Steuerfestsetzung zu verfahren hat. 

1. Unanfechtbare Zinsfestsetzungen 

Unanfechtbare Zinsfestsetzungen betreffend Verzinsungszeiträume ab 01.01.2019 genießen Bestandskraft. Soweit die Festsetzungen jedoch noch nicht vollzogen sind, ist deren Vollstreckung unzulässig.

2. Erstmalige Zinsfestsetzung nach § 233a AO

Aufgrund der Unanwendbarkeit der §§ 233a, 238 Abs. 1 Satz 1 AO sind sämtliche erstmalige Festsetzungen von Nachzahlungs- und Erstattungszinsen auszusetzen, d.h. es dürfen derzeit keine Zinsen festgesetzt werden. Die ausgesetzte Zinssetzung ist nachzuholen, sobald die Ungewissheit über die Höhe der gesetzlichen Zinsen beseitigt ist. Das ist dann der Fall, wenn der Gesetzgeber eine Neuregelung getroffen hat. Zinsen bis einschließlich 2018 sollen hingegen endgültig festgesetzt werden. Die Finanzämter versehen die Zinsbescheide mit einem entsprechenden Hinweis.

3. Geänderte oder berichtigte Zinsfestsetzungen nach § 233a AO

Wird eine Zinsfestsetzung wegen eines Vorbehalts der Nachprüfung geändert oder wird dieser aufgehoben, ist die Zinsfestsetzung für Verzinsungszeiträume ab 01.01.2019 auszusetzen und für vorläufig zu erklären. Hingegen sind Zinsfestsetzungen betreffend Verzinsungszeiträume bis 31.12.2018 für endgültig zu erklären. Auch hier ist ein bestimmter Hinweistext für den Bescheid vorgeschrieben. Dies gilt entsprechend für die Änderung oder Berichtigung von Zinsfestsetzungen nach anderen Vorschriften. Wenn die bisherige Zinsfestsetzung weder unter dem Vorbehalt der Nachprüfung noch vorläufig ergangen ist, ist die geänderte bzw. berichtigte Zinsfestsetzung lediglich auszusetzen.

4. Einspruchsfälle

Im Hinblick auf Einsprüche gegen die Verfassungsmäßigkeit des Zinssatzes nach § 238 Abs. 1 AO sind diese für Verzinsungszeiträume bis 31.12.2018 zurückzuweisen, ggf. durch Teileinspruchsentscheidung. Soweit die Festsetzung von Nachzahlungs- und Erstattungszinsen für Verzinsungszeiträume ab 01.01.2019 nicht – wie in Ziffer 2. beschrieben – ausgesetzt wurde, ist das Einspruchsverfahren sowie die Vollziehung der Zinsfestsetzung auszusetzen. Nach Verkündigung der Gesetzesänderung wird das Einspruchsverfahren fortgesetzt.

Wird gegen eine Aussetzung der Festsetzung von Erstattungszinsen für Verzinsungszeiträume ab 01.01.2019 Einspruch eingelegt, wird dieser als unbegründet zurückgewiesen. Die ausgesetzte Zinsfestsetzung wird ggf. nachgeholt.

5. Rechtshängige Fälle

Verfahren zur Frage der Verfassungsmäßigkeit der Höhe des Zinssatzes bei einem Finanzgericht oder dem BFH obliegt den Gerichten die Aussetzung der Verfahren und der Vollziehung der Zinsfestsetzung betreffend Verzinsungszeiträume ab 01.01.2019.

6. Aussetzung der Vollziehung

Für nach den früheren BMF-Schreiben ausgesetzte Vollziehung der Zinsfestsetzung betreffend Verzinsungszeiträume bis 31.12.2018 ist die Aussetzung der Vollziehung zu beenden.

Die Aussetzung der Vollziehung für Verzinsungszeiträume ab 01.01.2019 bleibt hingegen bis auf Weiteres bestehen.

7. Zinsen nach den §§ 234 bis 237 AO

Stundungszinsen, Hinterziehungszinsen, Prozesszinsen und Aussetzungszinsen sind von der Entscheidung des BVerfG nicht betroffen. Wurden solche Zinsen aufgrund des Verfahrens vor dem BVerfG ganz oder teilweise vorläufig festgesetzt, sind diese nach Verkündigung der Neuregelung nur für endgültig zu erklären, wenn der Steuerpflichtige dies beantragt oder der Zinsbescheid aus anderen Gründen aufzuheben oder zu ändern ist. Ein etwaiger Einspruch gegen eine solche Zinsfestsetzung ist als unbegründet zurückzuweisen. Die Anrechnung von diesen Zinsen auf Nachzahlungs- und Erstattungszinsen gemäß § 233a AO ist gegebenenfalls anzupassen.

Das BMF-Schreiben tritt mit sofortiger Wirkung in Kraft und ersetzt die vorangegangenen – zu dieser Thematik ergangenen – BMF-Schreiben aus 2018 und 2019.

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