Nach der schweren Unwetterkatastrophe durch das Regentief „Bernd“ Mitte Juli 2021, verzeichneten die Betroffenen beträchtliche Schäden. Ein Großteil der im Bestand vorhandenen Wirtschaftsgüter ist dabei im Wege der Überschwemmungen untergegangen. Bei der Bilanzierung der Ersatzbeschaffung stellt sich zunächst die Frage, ob die Ersatzbeschaffung einen Anschaffungsvorgang bzw. einen aufwandswirksamen Sachverhalt darstellt. Zudem gilt es zu beurteilen, inwiefern eine Gewinnverwirklichung durch Aufdeckung stiller Reserven in bestimmten Fällen der Ersatzbeschaffung vermieden werden kann.
1. Beurteilung ob ein Anschaffungsvorgang vorliegt oder ein aufwandswirksamer Sachverhalt
Im Rahmen der Auswirkung auf die handelsrechtliche sowie steuerrechtliche Bilanzierung gilt es grundsätzlich zu beurteilen, ob es sich bei den Kosten, die im Wege der Wiederherstellung des Ursprungszustands anfallen, um einen Anschaffungsvorgang/Zweit-Herstellung bzw. um Erhaltungsaufwand/Instandhaltungsaufwand oder um Aufräumungskosten handelt. Dabei stellt sich grundsätzlich die Frage, ob das Wirtschaftsgut (=WG) im Wege der Unwetterkatastrophe untergangen ist oder nicht.
1.1 Wirtschaftsgut ist im Wege der Unwetterkatastrophe untergegangen
Ersatzinvestitionen von untergegangenen Wirtschaftsgüter stellen grundsätzlich einen Anschaffungsvorgang dar. In diesem Fall ist der Restbuchwert des WG auszubuchen und das neu angeschaffte WG zu aktivieren.
1.2 Wirtschaftsgut ist im Wege der Unwetterkatastrophe nicht untergegangen
Ist das WG jedoch nicht untergegangen, gilt es (insbesondere bei den Gebäuden sowie Außenanlagen) zu beurteilen; ob ein Vollverschleiß vorliegt.
Die Herstellung eines (neuen) WG liegt auch vor, wenn ein bereits vorhandenes, aber zerstörtes oder unbrauchbar gewordenes WG wiederhergestellt wird. Von der Zweit-Herstellung eines (neuen) WG ist insbesondere auszugehen, wenn beispielsweise ein bereits vorhandenes Gebäude in seinen wesentlichen Teilen so sehr abgenutzt oder zerstört ist, dass es unbrauchbar geworden ist – Vollverschleiß – und daher abgerissen und neu errichtet wird oder die Brauchbarkeit des Gebäudes durch Instandsetzungsarbeiten unter Verwendung der übrigen noch nutzbaren Teile wiederhergestellt wird. Unbrauchbar im Sinne eines Vollverschleißes ist ein Gebäude nur bei schweren Substanzschäden. Ist ein zuvor vorhandenes Gebäude durch Vollverschleiß unbrauchbar geworden und wird es durch Baumaßnahmen wieder nutzbar gemacht, liegt eine Neuherstellung vor. Von einer Zweit-Herstellung ist dann auch auszugehen, wenn das bereits vorhandene Gebäude tiefgreifend umgestaltet wird, sodass eine Erweiterung bzw. in bautechnischer Hinsicht ein neues Gebäude vorliegt.
Im Falle einer Neuherstellung bzw. Zweit-Herstellung, ist das WG im Zugangszeitpunkt zu aktivieren.
Können die oben aufgeführten Ausführungen verneint werden (=Instandhaltungsaufwendungen) oder handelt es sich um reine Aufräumungsarbeiten, so sind die zugehörigen Kosten aufwandswirksam in der GuV zu erfassen.
2. Handelsrechtliche Würdigung
Handelt es sich bei der Ersatzbeschaffung/Wiederherstellung des Ursprungszustands wie oben ausgeführt um einen aktivierungspflichtigen Sachverhalt, so ist der Vermögensgegenstand nach den allgemeinen handelsrechtlichen Grundsätzen im Zugangszeitpunkt zu Anschaffungs- bzw. Herstellkosten zu aktivieren. Unabhängig davon, dass die Versicherungserstattung eventuell bereits im Schadensjahr ertragswirksam vereinnahmt wird und diese zur Wiederherstellung des Ursprungszustands – in diesem Fall der Beschaffung eines funktionsgleichen Vermögensgegenstandes dient – ist der Abschreibungsaufwand grundsätzlich über die Nutzungsdauer des Vermögensgegenstandes zu erfassen.
Angefallene Instandhaltungsaufwendungen sowie Aufwendungen in Verbindung mit Abräumbeseitigungen sind sofort aufwandswirksam zu erfassen. Darüber hinaus, sind gemäß § 249 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 HGB Rückstellungen für im Geschäftsjahr unterlassene Aufwendungen für Instandhaltung, die im folgenden Geschäftsjahr innerhalb von drei Monaten, oder für Abräumbeseitigung, die im folgenden Geschäftsjahr nachgeholt werden, zu bilden.
Dabei gilt es vorrangig hervorzuheben, dass geplante Ersatzbeschaffungen in Folgejahren für die etwaig bereits im Schadensjahr vereinnahmten Erstattungen vorliegen, nicht in Form einer Rücklage für Ersatzbeschaffungen zurückgestellt werden können. Der Sonderposten mit Rücklagenanteil (§ 273 HGB a.F.) wurde im Zuge des BilMoG vom 25.05.2009 abgeschafft. Demnach gibt im Gegensatz zum Steuerrecht das Handelsrecht keine Möglichkeit her, einen Gleichklang zwischen der Versicherungserstattung (im Schadensjahr realisiert) und den Aufwendungen (in diesem Fall der Abschreibung) zu schaffen.
3. Steuerrechtliche Würdigung
Im Gegensatz zum Handelsrecht räumt das Steuerrecht die Möglichkeit der Übertragung von stillen Reserven bei der Ersatzbeschaffung ein. Gemäß EStR 6.6 kann die Gewinnverwirklichung durch Aufdeckung stiller Reserven in bestimmten Fällen der Ersatzbeschaffung vermieden werden. Voraussetzung ist, dass
- ein WG des Anlage- oder Umlaufvermögens infolge höherer Gewalt oder zur Vermeidung eines behördlichen Eingriffs gegen Entschädigung aus dem Betriebsvermögen ausscheidet;
- innerhalb einer bestimmten Frist ein funktionsgleiches WG (Ersatzwirtschaftsgut) angeschafft oder hergestellt wird, auf dessen Anschaffungs- oder Herstellungskosten die aufgedeckten stillen Reserven übertragen werden, und
- das WG wegen der Abweichung von der Handelsbilanz in ein besonderes laufend zu führendes Verzeichnis aufgenommen wird (§ 5 Abs. 1 Satz 2 EStG).
Der Unternehmer hat in diesen Fällen ein steuerrechtliches Wahlrecht. Er darf die stillen Reserven auf die Anschaffungskosten oder Herstellungskosten des Ersatzwirtschaftsguts übertragen, damit die Entschädigung ungeschmälert für die Ersatzbeschaffung zur Verfügung steht. Dies gilt auch dann, wenn die Entschädigung höher ist als der Teilwert des ausgeschiedenen WG. Er kann aber auch die stillen Reserven im Zeitpunkt des Ausscheidens sofort versteuern.
Erfolgt die Ersatzbeschaffung nicht bereits im Jahr des Ausscheidens, kann im Jahr des Ausscheidens die buchmäßige Übertragung der stillen Rücklagen nicht erfolgen. Nach EStR 6.6 Abs. 4 kann in diesem Fall in Höhe der aufgedeckten stillen Reserven in der Steuerbilanz eine steuerfreie Rücklage gebildet werden, wenn am Bilanzstichtag eine Ersatzbeschaffung ernstlich geplant und zu erwarten ist. Als Entschädigung kommen beispielsweise Versicherungserstattungen in Betracht.
Im Wege der Überschwemmungskatastrophe wurden weitere steuerliche Maßnahmen zur Berücksichtigung der Schäden und demnach Vermeidung der Besteuerung von stillen Reserven durch das Finanzministerium NRW erlassen (z.B. Sonderabschreibungen bei Wiederaufbau von Betriebsgebäuden, Sonderabschreibungen bei Ersatzbeschaffung beweglicher Anlagegüter; Beseitigung von Hochwasserschäden am Grund und Boden etc.). Für die nähere Ausführung verweisen wir auf den Katastrophenerlass vom 23.07.2021.