Der BGH hat in zwei aktuellen Entscheidungen die Vorsatzanfechtung durch den Insolvenzverwalter erschwert. Was hat sich geändert?
Viele Gläubiger insolventer Unternehmen haben nicht nur mit erheblichen Forderungsausfällen zu rechnen. Auch sehen sie sich oft mit Anfechtungen von Zahlungen des insolventen Unternehmens durch den Insolvenzverwalter konfrontiert, die vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens vom insolventen Unternehmen an seine Gläubiger geleistet worden sind.
In der Vergangenheit konnten im Falle der vorsätzlichen Gläubigerbenachteiligung bis zu zehn Jahre in der Vergangenheit liegende Zahlungen angefochten werden. Diese 10-jährige Anfechtungsfrist wurde für kongruente (wie inkongruente) Deckungen vom Gesetzgeber im Jahr 2017 auf vier Jahre verkürzt. Begleitet wurde dies mit einer Modifizierung der Vermutung betreffend die Kenntnis des Anfechtungsgegners vom Gläubigerbenachteiligungsvorsatz. Zum einen wird dieser nunmehr vermutet, wenn der Anfechtungsgegner die drohende Zahlungsunfähigkeit und die Gläubiger benachteiligende Wirkung der Rechtshandlung/Zahlung kennt. Im Falle der kongruenten Deckung, wenn also der Gläubiger eine Zahlung in der konkreten Art und Weise beanspruchen konnte, ist anstelle der Kenntnis der drohenden Zahlungsunfähigkeit auf die Kenntnis von der eingetretenen Zahlungsunfähigkeit abzustellen.
Diese Gesetzesänderungen mochten die beabsichtigte Beschränkung der Vorsatzanfechtung nicht so recht bewirken. Mit den Entscheidungen des BGH vom 06.05.2021 (Az. IX ZR 72/20) und in der Folge des BGH vom 10.02.2022 (Az. IX ZR 148/19) hat sich dieser nun dem “Projekt“ Begrenzung der Vorsatzanfechtung angenommen.
Dabei hat sich nicht so sehr etwas bei den Anforderungen an den Vorsatz geändert. Vielmehr wird in Zukunft nunmehr die Korrektur der weitreichenden Vorsatzanfechtung auf der Ebene der Beweisführung bewirkt werden.
Danach gilt weiterhin: Der Schuldner handelt vorsätzlich, wenn er die Benachteiligung der Gläubiger als Erfolg seiner Rechtshandlung will oder als mutmaßliche Folge erkennt und billigt. Kennt der Schuldner zum Zeitpunkt seiner Handlung seine (drohende) Zahlungsunfähigkeit, kann hieraus auf den Vorsatz, seine Gläubiger zu benachteiligen, geschlossen werden. In diesem Fall ist nämlich dem Schuldner bekannt, dass er nicht alle Gläubiger wird befriedigen können. Hat der Anfechtungsgegner zum Zeitpunkt der Rechtshandlung bzw. Zahlung die Zahlungsunfähigkeit erkannt, wird daraus auch auf die Kenntnis vom Benachteiligungsvorsatz des Schuldners geschlossen. Der Schuldner handelt nur dann ohne Gläubigerbenachteiligungsvorsatz, wenn er aufgrund konkreter Umstände mit einer baldigen Überwindung der Krise rechnen kann, z.B. in Erwartung einer Kreditzusage. Diese Umstände waren nach der bisherigen Rechtsprechung des BGH durch den Anfechtungsgegner zu beweisen.
Letzteres hat der BGH nunmehr in seinem Urteil vom 06.05.2021 geändert. Danach setzt der Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners weiterhin voraus, dass der Schuldner neben seiner erkannten Zahlungsunfähigkeit im Zeitpunkt der Zahlung wusste oder jedenfalls billigend in Kauf nahm, seine übrigen Schuldner auch künftig nicht vollständig befriedigen zu können. Insoweit darf also nicht nur eine vorübergehende Illiquidität bestehen. Diesen Umstand muss der Anfechtungsgegner auch erkannt haben. Jedoch muss nunmehr der Insolvenzverwalter beweisen, dass keine Aussicht mehr auf Beseitigung der Zahlungsunfähigkeit bestand. Der Insolvenzverwalter trägt danach künftig die Beweislast für die negative Tatsache, dass keine begründete Aussicht auf Beseitigung der Zahlungsunfähigkeit bestand und dem Anfechtungsgegner dies bekannt war. Dies ist jedoch anzunehmen, wenn die Ursache für die Zahlungsunfähigkeit nicht beseitigt wurde oder absehbar beseitigt werden wird.
Auch auf eine nur drohende Zahlungsunfähigkeit im Zeitpunkt der Zahlung kann künftig der Gläubigerbenachteiligungsvorsatz in der Regel nicht mehr gestützt werden (BGH Urteil vom 06.05.2021, Az. IX ZR 72/20).
Eine einmal eingetretene Zahlungseinstellung wirkt nach der Rechtsprechung des BGH fort. Jedoch will er diese Fortdauervermutung auch eingeschränkt wissen. Diesen Aspekt greift er im Urteil vom 10.02.2022 (Az. IX ZR 148/19) nochmals auf. Danach hatte bisher der Anfechtungsgegner darzulegen und zu beweisen, dass der Schuldner seine Zahlungen allgemein wieder aufgenommen hat, die Zahlungseinstellung und die daraus geschlossene Zahlungsunfähigkeit beseitigt worden ist. Da dem Anfechtungsgegner hierbei in vielen Fällen Unmögliches abverlangt wird – die Einsicht in die wirtschaftlichen Verhältnisse beschränken sich häufig auf das Zahlungsverhalten ihm gegenüber – statuiert der BGH eine sekundäre Darlegungslast des Insolvenzverwalters. Der Anfechtungsgegner muss aber zunächst einen Umstand beweisen, der eine Wiederaufnahme der Zahlungen des Schuldners im Allgemeinen als möglich erscheinen lässt. Erst dann greift die sekundäre Darlegungslast des Insolvenzverwalters zum Zahlungsverhalten des Schuldners im Übrigen, also gegenüber den anderen Gläubigern.
Beachtung zu finden hat immer auch das konkrete Zahlungsverhalten des Schuldners. Hat dieser schon über einen längeren Zeitraum seine Verbindlichkeiten schleppend bedient, ohne bereits zahlungsunfähig zu sein, kann auf ein solches Zahlungsverhalten als Indiz für eine Zahlungseinstellung nicht abgestellt werden.
Fazit
Der BGH hat die Vorsatzanfechtung etwas begrenzt. Dabei wurde diese Begrenzung weniger durch Korrekturen bei den Tatbestandsmerkmalen, sondern auf Ebene der Beweislastverteilung erreicht. Nunmehr muss der Insolvenzverwalter auch beweisen, dass keine begründete Aussicht auf Beseitigung der Zahlungsunfähigkeit bestand und dem Anfechtungsgegner dies bekannt war. Wie weit die vorstehende Begrenzung reicht und, ob diese zu einer höheren Rechtssicherheit für Gläubiger führt, bleibt abzuwarten. Gläubiger werden jedoch auch in naher Zukunft nicht mit einer zurückhaltenden Anfechtungspraxis durch die Insolvenzverwalter rechnen dürfen. Jeder Einzelfall bedarf daher auch in Zukunft einer präzisen Beurteilung, um eine erfolgreiche Verteidigung gegen Insolvenzanfechtungen führen zu können.