Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat die schon angespannte politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Lage in Deutschland und den Rest der Welt weiter verschärft. Die bilanzierenden Unternehmen stehen vor großen Unsicherheiten. Vor diesem Hintergrund veröffentlichte das IDW am 30.09.2022 einen Fachlichen Hinweis, der die Auswirkungen der derzeitigen Lage auf die Finanzberichterstattung zum oder nach dem Abschlussstichtag 30.09.2022 thematisiert. Insoweit ist der Hinweis auch für die Berichterstattung zum 31.12.2022 relevant.
Die derzeitige wirtschaftliche Lage
Die Corona Krise war noch nicht überwunden als Russland die Ukraine am 24.02.2022 angegriffen hat. Als eine Folge sind Lieferketten für Unternehmen teilweise eingebrochen oder zumindest massiv gestört. Hinzu kommen aktuell Energieengpässe, welche die Inflation weiter befeuern. Das Statistische Bundesamt teilte am 29.09.2022 mit, dass die Inflationsrate im September laut Schätzungen bei voraussichtlich 10 % liegen wird. Das wäre die höchste Teuerung seit den 1950er Jahren. Das europäische Statistikamt Eurostat zog am 30.09.2022 mit Schätzungen der euroweiten Inflationsrate in Höhe von ebenfalls 10 % nach. Dies stellt die höchste Inflation seit Einführung des Euros dar. Auf die gestiegene Inflation reagierten die Notenbanken bereits mit Zinserhöhungen. Diese belasten die Wirtschaft weiter.
Als Folge der aktuellen Entwicklungen sah sich die Deutsche Bundesbank veranlasst, in ihrem aktuellen Monatsbericht (September 2022) festzustellen, dass „sich die Anzeichen für eine Rezession in der deutschen Wirtschaft mehren“. Aufgrund der angespannten politischen Beziehungen Deutschlands zu Russland besteht große Unsicherheit in der Volkswirtschaft. Diese Ungewissheit belastet sowohl private Verbraucher als auch Unternehmen.
Vor diesem Hintergrund veröffentlichte das IDW am 30.09.2022 einen Fachlichen Hinweis, der die Auswirkungen der veränderten wirtschaftlichen Lage auf die Finanzberichterstattung zum oder nach dem Abschlussstichtag 30.09.2022 thematisiert. Insoweit sind die Hinweise des IDW auch für die anstehende Berichterstattung zum 31.12.2022 von hoher Relevanz. Die wichtigsten Erkenntnisse werden im Folgenden skizziert.
Auswirkungen der Unsicherheiten auf Prognosen
Um Vermögensgegenstände, Verbindlichkeiten und Rückstellungen sachgerecht zu bewerten, müssen Unternehmen verlässliche Prognosen durchführen. Die Validität dieser Prognosen hängt direkt von den getroffenen Annahmen ab. Wenn die Unsicherheit zunimmt, müssen in der Vergangenheit getroffene Annahmen hinterfragt werden.
Die aktuellen Entwicklungen beeinflussen besonders …
- … den aktivierten Geschäfts- oder Firmenwert (GoF), da der Barwert der erwarteten Cashflows abnimmt. Die derzeitigen Krisen senken branchenübergreifend die Erträge und erhöhen die von Anlegern geforderte Risikoprämie bzw. den Kapitalisierungszinssatz. In der Folge sinkt der Barwert der künftigen Cashflows.
- … die Bilanzierung von aktiven latenten Steuern, da für die Bewertung aktiver latenter Steuern aus abzugsfähigen temporären Differenzen und für den Vortrag noch nicht genutzter steuerlicher Verluste Prognosen unverzichtbar sind.
- … die Bewertung von Rückstellungen. Gemäß IAS 37 muss der als Rückstellung angesetzte Betrag die bestmögliche Schätzung der Ausgabe, die zur Erfüllung der gegenwärtigen Verpflichtung zum Bilanzstichtag erforderlich ist, darstellen. Diese Prognose der Ausgaben hängt von zukünftigen Kostenentwicklungen ab. Gemäß § 253 Abs. 1 S. 2 HGB hat ein bilanzierendes Unternehmen Rückstellungen in Höhe des nach vernünftiger kaufmännischer Beurteilung notwendigen Erfüllungsbetrags anzusetzen. Hierbei sind die am Abschlussstichtag erwarteten Preisentwicklungen zu berücksichtigen. Die oben aufgezeigte Inflationsdynamik in Deutschland verdeutlicht den Einfluss der derzeitigen Lage auf die Rückstellungen.
- … den Ansatz von Drohverlustrückstellungen. Der Ausbruch des Krieges in der Ukraine verteuerte die Energiepreise massiv. Wenn ein Unternehmen vor Ausbruch des Krieges zu fixem Entgelt einen Vertrag über Lieferung und Leistung, die erst nach dem Abschlussstichtag erfolgt, abgeschlossen hat, kann es zu erheblichen Verlusten für das bilanzierende Unternehmen kommen. Für diese Verluste aus schwebenden Geschäften kann ein Unternehmen verpflichtet sein, Drohverlustrückstellungen zu bilden. Eine Drohverlustrückstellung ist zu bilden, wenn der Wert, der vom Bilanzierenden aufgrund eines gegenseitigen Vertrages nach dem Abschlussstichtag noch zu erbringenden Lieferung und Leistung hinter dem Wert des Gegenleistungsanspruchs zurückbleibt. Wenn sich der für das bilanzierende Unternehmen drohende Verlust aus dem schwebenden Geschäft auf am Abschlussstichtag bereits bilanzierte Vermögensgegenstände bezieht, ist der Drohverlust durch außerplanmäßige Abschreibung dieser Vermögensgegenstände festzuhalten.
Ansatz und Bewertung von Finanzinstrumenten
Die derzeitige Krise und die daraus resultierende Unsicherheit wirft für bilanzierende Unternehmen die Frage auf, ob und wie die Bewertung von Finanzinstrumenten zum oder nach dem Abschlussstichtag 30.09.2022 angepasst werden muss.
Zunächst ist fraglich, inwiefern eine Wertminderung nach IFRS notwendig ist. Folgende Aspekte sind zu beachten:
- Gemäß IFRS 9 muss das bilanzierende Unternehmen bei dem Ansatz der Finanzinstrumente auf die Einschätzung einer signifikanten Erhöhung des Kreditausfallrisikos (SICR) gesondert achten, da dies eventuell zu einem Stufentransfer führen kann. Angemessene und zukunftsgerichtete Informationen stellen die Basis für den Stufentransfer dar.
- Bilanzierende Unternehmen müssen Schätzungen der erwarteten Zahlungsströme vornehmen, um erwartete Kreditverluste zu berechnen. Das IDW schlägt vor verschiedene Szenarien darzustellen. Die Eintrittswahrscheinlichkeiten der Szenarien sind hierbei besonders wichtig.
- Falls bilanzierende Unternehmen die erwarteten Kreditverluste für Forderungen aus Lieferungen und Leistungen berechnen müssen, ist dies nach dem simplified approach durchzuführen. Hierbei werden zukunftsgerichtete Informationen verwendet. Oftmals erfolgt der Einsatz von Wertberichtigungstabellen (provision matrix), die verschiedene Wertberichtigungsquoten beinhalten. Diese werden aus Erfahrungen der bilanzierenden Unternehmen aus der Vergangenheit abgeleitet. Die derzeitige kritische wirtschaftliche und politische Lage könnte eine Anpassung der Quoten erfordern.
- Unsicherheiten können sogar so schwerwiegend sein, dass die bisherigen Bewertungsmodelle nach IFRS 9 diese nicht ausreichend beinhalten. Dann sind sogenannte Post -Model Adjustments erforderlich.
Mithin ist fraglich, ob eine Wertminderung von Finanzinstrumenten nach dem Handelsrecht (HGB) erforderlich ist:
- Ein Unternehmen unterhält womöglich mit vielen anderen Unternehmen Geschäftsbeziehungen, von denen einige in Zahlungsschwierigkeiten kommen können. Vor allem solche Unternehmen, die in besonders von der Krise betroffenen Branchen tätig sind, sind oder können in Liquiditätsengpässe geraten. Als Folge dessen besteht aus Sicht des bilanzierenden Unternehmens ein erhöhtes Risiko des Ausfalls von Forderungen aus Lieferungen und Leistungen. Gemäß § 253 Abs. 4 HGB sollte das bilanzierende Unternehmen Abschreibungen auf den niedrigeren beizulegenden Wert vornehmen.
- Außerdem sollte bei unterverzinslichen Geldforderungen eine Vornahme von außerplanmäßigen Abschreibungen geprüft werden.
Ferner sollte geprüft werden, ob eine Umklassifizierung (nach IFRS) oder Umgliederung (nach HGB) von finanziellen Vermögenswerten nötig ist:
- Die IFRS fordern, dass eine Umklassifizierung von Vermögenswerten nur dann erfolgen darf, wenn für die Steuerung der finanziellen Vermögenswerte das Geschäftsmodell verändert wird. Sowohl der Ukraine Krieg als auch die Corona Krise könnten eine solche Änderung bestehender Geschäftsmodelle herbeiführen.
- Bei Nichtinstituten wird hinsichtlich der Umgliederung von Wertpapieren nach HGB auf IDW RH HFA 1.014 verwiesen.
Notwendigkeit einer transparenten Berichterstattung in Anhang und Lagebericht
Grundsätzlich sollten Adressaten der Berichterstattung von Unternehmen in der Lage sein, die Einschätzungen des Managements nachzuvollziehen. Deshalb sollte vor dem Hintergrund erhöhter gesamtwirtschaftlicher Unsicherheiten, das berichterstattende Unternehmen Informationen im Anhang bereitstellen, die die getroffenen Annahmen, die der Bilanzierung und Bewertung zum Stichtag zu Grunde gelegt wurden, beleuchten. Dadurch soll eine erhöhte Transparenz beim Bilanzierungs- und Bewertungsprozess geschaffen werden. Unternehmen sind ebenfalls verpflichtet Schätzungsunsicherheiten (z.B. Sensitivitätsanalysen) beizulegen (vgl. IAS 1.125 ff).
Darüber hinaus sollen berichtende Unternehmen bewertungsmindernde (oder bewertungssteigernde) Ereignisse, die nach dem Abschlussstichtag, aber vor dem Tag der Abschlusserstellung anfallen, im Anhang ausführen (vgl. § 285 Nr. 33 HGB). Dabei ist nur über solche Vorgänge zu berichten, deren Auswirkungen das Bild des Abschlussberichts verändern. Gemäß IAS 10.21 (a) muss bei solch einem Ereignis über die Art des Ereignisses im Anhang berichtet werden. IAS 10.21 (b) fordert von bilanzierenden Unternehmen zusätzlich Schätzungen bezüglich der finanziellen Auswirkungen eines solchen Ereignisses im Anhang anzugeben.
Grundsätzlich ist die Berichterstattung im Lagebericht, insbesondere die Einschätzung von Chancen, Risiken und Prognosen, zum Abschlussstichtag vorzunehmen. Wenn sich indes bestimmte Annahmen zum Zeitpunkt der Beendigung der Aufstellung des Lageberichts ändern, sind diese geänderten Annahmen der Lageberichterstattung zu Grunde zu legen. Im Zentrum der künftigen Unsicherheiten stehen in der Praxis der Risikobericht und die Prognoseberichterstattung.
So ist eine gegenüber der zum Abschlussstichtag vorliegenden Einschätzung geänderte Einschätzung der Risiken zusätzlich darzustellen, wenn anders kein zutreffendes Bild von der Risikolage des Unternehmens vermittelt wird (DRS 20.155).
In der aktuellen Situation ist die zutreffende Einschätzung von Prognosen mit einer hohen Unsicherheit behaftet. Insofern dürften bei einer Vielzahl von Unternehmen die Voraussetzungen nach DRS 20.133, die Erleichterungen bei der Prognoseberichterstattung erlauben, als erfüllt anzusehen sein. Das IDW weist aber zutreffend darauf hin, dass wegen der unterschiedlichen individuellen Betroffenheit der Unternehmen stets eine Einzelfallbeurteilung erforderlich ist. Liegen für das Unternehmen die Voraussetzungen hinsichtlich der Erleichterungen bei der Prognoseberichterstattung vor, ist es den betreffenden Unternehmen gestattet, anstelle von Punkt-, Intervall- oder qualifiziert-komparativen Prognosen lediglich komparative Prognosen im Lagebericht abzugeben oder in verschiedenen Zukunftsszenarien unter Angabe ihrer jeweiligen Annahmen zu berichten. Ein Unterlassen jeglicher Prognosen im Lagebericht ist indes selbst im Lichte der derzeitigen hohen Unsicherheiten allerdings nicht zulässig.
Bestätigungsvermerk
Das IDW hat bereits im Fachlichen Hinweis zu den Auswirkungen des Ukraine Kriegs auf die Rechnungslegung und deren Prüfung sowie im Fachlichen Hinweis zu den Auswirkungen der Corona-Pandemie umfassende Hilfestellungen zur Aufnahme eines Hinweises zur Hervorhebung eines Sachverhalts in den Bestätigungsvermerk veröffentlicht. Im aktuellen Fachlichen Hinweis vom 30.09.2022 weist das IDW darauf hin, dass diese Hinweise auf die aktuelle Lage analog anzuwenden sind.
Fazit
Die erhöhte wirtschaftliche und (geo-)politische Unsicherheit stellt auch an die Berichterstattung von Unternehmen gestiegene Anforderungen. Neben Prognoseschwierigkeiten sind Bewertungsprobleme bei Finanzinstrumenten und Transparenzprobleme besonders bedeutend. Der Fachliche Hinweis des IDW vom 30.09.2022 gibt eine konkrete Hilfestellung für Bilanzierende und Prüfende bei der Berichterstattung zum oder nach dem Abschlussstichtag am 30.09.2022. Die Hinweise des IDW sind auch für die Bilanzierung und Bewertung zum 31.12.2022 relevant. In Abhängigkeit der weiteren Entwicklungen wird sich das IDW zu den in dem Fachlichen Hinweis dargestellten spezifischen Hilfestellungen ergänzend äußern. Für die Bilanzierenden besteht angesichts der aktuellen wirtschaftlichen Unsicherheiten eine erhöhte Herausforderung im Hinblick auf die zutreffende Rechnungslegung und Berichterstattung im Jahr 2022 sowie zum 31.12.2022.