Nach einer langjährigen Phase historisch niedriger Zinsen scheint sich im Jahr 2022 eine Zinswende abzuzeichnen. An den internationalen sowie nationalen Kapitalmärkten wurden im Jahr 2022 deutliche Zinssatzsteigerungen festgestellt. In Deutschland hat sich bspw. der für Unternehmensbewertungen relevante risikolose Basiszinssatz allein im Jahr 2022 mehr als verfünfzehnfacht. Auch Fremdkapitalkosten verzeichneten im Jahr 2022 einen signifikanten Anstieg. Flankiert wird das steigende Zinsniveau zudem von Anhebungen der Leitzinsen durch die EZB sowie die historisch hohe Inflation.
Das Jahr 2022 ist geprägt durch flächendeckende Zinsanstiege, die sich sowohl bei der Verzinsung risikoloser Staatsanleihen, bei den Gesamtmarktrenditen respektive Eigenkapitalkosten und Fremdkapitalkosten niederschlagen. Hinzukommen historisch hohe Inflationsraten, wie es sie in Deutschland seit über 70 Jahren nicht mehr gab. Noch zu Beginn des Jahres 2021 kämpfte die EZB mit Inflationsraten, die unter dem Inflationsziel der EZB von 2,00 % lagen. Der rasante Inflationsanstieg innerhalb kürzester Zeit auf 10,40 % im Oktober 2022 (Schnellschätzung Destatis) hat weitreichende Folgen für die Wirtschaft.
Der für (Unternehmens-)Bewertungen relevante Basiszinssatz hatte noch zu Beginn des Jahres 2022 ein Niveau von 0,10 %. Zum 01.11.2022 verzeichnete der Basiszinssatz einen Anstieg auf 1,75 %. Die Folgen dessen sind für Bewertungsfragen weitreichend. Hintergrund für den Anstieg dürften die derzeitigen Verwerfungen auf den internationalen Kapitalmärkten sowie die politischen Unsicherheiten sein, die eine Flucht der Anleger in sichere Bundesanleihen zur Folge haben. Aber auch die historisch hohen Inflationsraten sorgen für steigende Basiszinssätze.
Die Marktkonditionen sind insgesamt aktuell stark durch die hohe Inflation geprägt. Besonders deutlich werden die Folgewirkungen der Inflation bei den Leitzinsen der EZB, welche aktuell fast im Monatstakt angehoben werden. Der wichtigste Leitzins im Euroraum betrug zu Beginn des Jahres 2022 noch 0,00 %. Nach drei Zinsanhebungen allein im Jahr 2022 beläuft sich der wichtige Leitzins für das Hauptrefinanzierungsgeschäft aktuell auf 2,00 %. Weitere Leitzinserhöhungen durch die EZB noch im Jahr 2022 sind nicht ausgeschlossen.
Einen wesentlichen und auch unmittelbaren Effekt haben die Leitzinserhöhungen der EZB insbesondere auf Fremdkapitalkosten. Die Zinsaufwendungen für Unternehmen und für private Haushalte sind in diesem Zusammenhang deutlich gestiegen. Durch die geldpolitischen Maßnahmen der EZB wird das Fremdkapital teurer und Zinsaufwendungen fallen höher aus als zuvor. Insgesamt geht die Nachfrage nach Fremdkapital zurück, da für viele Unternehmen eine derartige Verteuerung des Fremdkapitals nicht tragbar ist. Die Folge davon ist, dass flächendeckend Investitionsausgaben sinken und die Gefahr einer Rezession steigt. Besonders starke Auswirkungen sind zudem bei der Kreditvergabe bei Immobilienfinanzierungen zu beobachten. Derzeit betragen die Bauzinsen für Privatpersonen im Durchschnitt mehr als 3,00 % p.a.
Es bleibt abzuwarten, ob sich der generelle Anstieg des Zinsniveaus auch im Jahr 2023 fortsetzen wird. Fest steht aber bereits jetzt, dass allein die Zinsveränderungen im Jahr 2022, gepaart mit den historisch hohen Inflationsraten, weitreichende Folgen für die Unternehmen haben.
Die unmittelbaren Auswirkungen des Zinsanstiegs betreffen neben Bewertungsfragen auch Fragen der bilanziellen Bewertung. Insofern sind die Unternehmen auch zum Jahresabschluss zum 31.12.2022 gefordert, die Effekte der Inflation sowie des gegenüber den Vorjahren deutlich gestiegenen Zinsniveaus zutreffend in der Bilanzierung und Berichterstattung abzubilden.