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Die elektro­nische Arbeits­unfähig­keits­beschei­nigung: Der „gelbe Schein“ kommt künftig digital

Der „gelbe Schein“ steht vor dem Aus. Ab den kommenden Jahren 2021 bzw. 2022 soll die Arbeits­unfähig­keits­beschei­nigung („AU“) vom Arzt für gesetzlich Versicherte nur noch in digitaler Form ausgestellt werden. Geregelt wurde diese Digitalisierung im Gesetz für schnellere Termine und bessere Versorgung („Terminservice- und Versor­gungs­gesetz – TSVG“), sowie durch das 3. Büro­kratie­entlastungs­gesetz („BEG III“). Die digitale Ausstellung und Übermittlung der AU, die „eAU“, soll geschätzte jährliche Einsparungen von ca. EUR 77 Mio. mit sich bringen. Welche Vorteile aber auch welche Problemfelder mit der eAU für die beteiligten Akteure damit einhergehen können, werden im Folgenden näher beleuchtet.

Die AU ist die Bestätigung eines Vertragsarztes (oder -zahnarztes) über eine festgestellte Erkrankung des Arbeitnehmers, die ihn am Erbringen der Arbeitsleistung hindert, also arbeitsunfähig macht. Bisher erhält ein Arbeitnehmer die AU in Papierform in dreifacher (gelber) Ausfertigung, wobei jeweils ein Exemplar für die Einreichung beim Arbeitgeber und der Krankenkasse des Arbeitnehmers, sowie ein Exemplar für die eigenen Unterlagen bestimmt ist, ein viertes Exemplar als Durchschlag verbleibt für die Krankenakte des Arbeitnehmers beim behandelnden Arzt. Die beiden Exemplare für den Arbeitgeber und die Krankenkasse dienen dabei insbesondere der Erfüllung der Nachweispflicht der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers, welche sich betreffend den Arbeitgeber unmittelbar aus § 5 Abs. 1 S. 2 bis 4 Entgeltfortzahlungsgesetz („EFZG“) ergibt. Hinsichtlich der Krankenkasse des Arbeitnehmers wird die Nachweispflicht mittelbar aus § 5 Abs. 1 S. 5 EFZG hergeleitet, da sich hieraus nicht nur eine entsprechende Verpflichtung für den behandelnden Arzt, sondern auch für den erkrankten Arbeitnehmer zum Nachweis gegenüber der Krankenkasse ergeben soll. Kommt der Arbeitnehmer seinen Nachweispflichten nicht nach, verletzt er eine arbeitsvertragliche (Neben-)Pflicht, die neben weiteren Rechtsfolgen eine Abmahnung sowie im Wiederholungsfall auch eine (verhaltensbedingte) Kündigung nach sich ziehen kann. 

Das Procedere der physischen Vorlage der AU bei Krankenkasse und Arbeitgeber soll nun jedoch abgeschafft und durch eine elektronische Übermittlung der AU ersetzt werden, wodurch die AU zur eAU wird. Basis hierfür ist zunächst der ab 01.01.2022 in Kraft tretende Art. 9 BEG III, der eine Ergänzung des § 5 EZFG um einen neuen Absatz 1a vorsieht. Dieser regelt für Arbeitnehmer, die Mitglied einer gesetzlichen Krankenkasse sind, eine Ausnahme zur derzeit bestehenden Nachweispflicht nach § 5 Abs. 1 S. 2 bis 5 EFZG, die eine physische Vorlage der AU vorsieht. Vielmehr sind die Arbeitnehmer ab dem Zeitpunkt des Inkrafttretens der Neuregelung nun verpflichtet, die Arbeitsunfähigkeit sowie deren voraussichtliche Dauer durch einen Arzt feststellen und sich eine AU in Papierform aushändigen zu lassen. Diese soll insbesondere bei Störfällen als Beweismittel für den Arbeitnehmer dienen. Eine eigene Übermittelung an die Krankenkasse des Arbeitnehmers sowie dessen Arbeitgeber entfällt damit, stattdessen trifft diese Verpflichtung nun den behandelnden Arzt bzw. die Krankenkasse des Arbeitnehmers. Ausnahmen hiervon sind jedoch in § 5 Abs. 1a S. 3 EFZG n.F. für geringfügige Beschäftigte in Privathaushalten oder für Fälle der Feststellung der Arbeitsunfähigkeit nicht durch einen Vertragsarzt vorgesehen. Rechtsgrundlage für die digitale Übermittlungspflicht des behandelnden Arztes betreffend die AU an die Krankenkassen ist der ab 01.01.2021 in Kraft tretende Art. 2 Nr. 3 TSVG. Gemäß dem hiermit geänderten § 295 Abs. 1 SGB Fünftes Buch Sozialgesetzbuch („SGB V“)trifft die attestierenden Ärzte nun eine elektronische Übermittlungspflicht unter Nutzung der bereitgestellten Telematikinfrastruktur („TI“). Ergänzend wurde in dem ab 01.01.2022 in Kraft tretenden Art. 11 Nr. 3 BEG III der elektronische Übermittlungsweg zwischen Krankenkasse und Arbeitgeber verankert. In der daraus folgenden Neufassung des § 109 Viertes Buch Sozialgesetzbuch („SGB IV“) wird den Krankenkassen aufgegeben, nach Eingang der Arbeitsunfähigkeitsdaten § 295 Abs. 1 SGB V n.F. eine Meldung zum Abruf insbesondere der nachfolgenden Daten für den Arbeitgeber (oder einen von diesem Beauftragten Dritten, Stichwort: Externe Lohnabrechnungsstelle) zu erstellen: 1. Namen des Arbeitnehmers, 2. Beginn und das Ende der Arbeitsunfähigkeit, 3. Datum der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit sowie 4. Kennzeichnung als Erst- oder Folgemeldung. Der Grund für die Arbeitsunfähigkeit wird dem Arbeitgeber – wie bisher –nicht mitgeteilt. Läuft der Entgeltfortzahlungszeitraum für den Arbeitgeber aus, muss die Krankenkasse des Arbeitnehmers zudem aktiv auf den Arbeitgeber zugehen und diesen hierüber informieren.

Klarstellend soll noch darauf hingewiesen werden, dass die aus § 5 Abs. 1 S. 1 EFZG sich ergebende Mitteilungspflicht des Arbeitnehmers betreffend die Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer von den dargestellten Gesetzesänderungen unberührt bleibt. Diese hat der Arbeitnehmer auch weiterhin gegenüber dem Arbeitgeber zu erfüllen. Die beschriebenen Änderungen bringen dennoch weitreichende Folgen für alle beteiligten Akteure mit sich, die durchaus unterschiedlich zu bewerten sind. 

Im Hinblick auf die Nachweispflicht des Arbeitnehmers gegenüber seinem Arbeitgeber und seiner Krankenkasse, ergibt sich eine Entlastung für den Arbeitnehmer, die im Ergebnis auch für den Arbeitgeber von Vorteil sein kann. Denn gerade die Übersendung der AU an die Krankenkasse dient auch dem Interesse des Arbeitgebers insbesondere im Hinblick auf die Verpflichtung zur Entgeltfortzahlung. Nur bei Vorliegen entsprechender AUs kann die Krankenkasse prüfen, ob es sich bei der zuletzt festgestellten Arbeitsunfähigkeit um eine Erst- oder Folgeerkrankung handelt. Dies wiederum ist entscheidend dafür, ob der Arbeitgeber auch weiterhin Entgeltfortzahlung zu leisten hat. Durch die eAU kann dabei zukünftig zweifelsfrei das Vorliegen einer Erst- oder Folgeerkrankung festgestellt werden. Zudem soll der Arbeitgeber von der Krankenkasse des Arbeitnehmers auch eine Meldung über für ihn relevante Vorerkrankungszeiten sowie das nahende Auslaufen des Entgeltfortzahlungszeitraums erhalten. Weiterer Vorteil der eAU für den Arbeitgeber ist insbesondere die Möglichkeit der sofortigen digitalen Weiterverwertung der Krankheitsdaten im Rahmen der Personalsoftware bzw. Lohnabrechnung, die automatisiert über eine Schnittstelle erfolgen kann. Auch die sicherere und schnellere Übermittlung der eAU bringt für den Arbeitgeber entscheidende Vorteile. Durch die sofortige Information über die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers wird dem Arbeitgeber die Möglichkeit eröffnet, schneller auf krankheitsbedingte Ausfälle durch Umstellen von Schicht- und Produktionsplänen oder die Organisation von Vertretungen zu reagieren. 

Hinsichtlich der geplanten Änderungen ergeben sich im Zusammenhang mit den zur elektronischen Übermittlung benötigten technischen Vorrichtungen bei den Ärzten und bei der Einhaltung datenschutzrechtlicher Bestimmungen jedoch auch Problemfelder. Um als Vertragsarzt die elektronische Übermittlung an die Krankenkassen durchführen zu können, muss diese am sogenannten Telematik-Verfahren teilnehmen. Telematik bezeichnet im Gesundheitswesen die grundsätzlich verpflichtende Verbindung von Telekommunikation und Informatik mit der Zielsetzung, den Akteuren im Gesundheitswesen (Ärzten, Krankenhäusern, Apotheken, etc.) relevante Informationen umfänglicher, schneller und für den jeweiligen Nutzungskontext aufbereitet zur Verfügung zu stellen. Geregelt wurde diese TI in § 291a SGB V. Doch längst nicht alle Vertragsärzte haben die Installation der TI bis dato vollzogen. Das Bundesgesundheitsministerium hat der Forderung der Kassenärztlichen Vereinigung („KVB“) nach einer Übergangsregelung für die eAU bis 30.09.2021, abweichend zu Art. 2 Nr. 3 TSVG, bereits zugestimmt. Weiterhin warnt die Vertragsärzteschaft davor, dass Verstöße gegen die Datenschutzgrundverordnung („DS-GVO“), aufgrund fehlender Datenschutzfolgeabschätzung sowie die Gefahr der Aushebelung der Schweigepflicht, drohen. Ebenso sind bis zum Ausreifen des elektronischen Systems zur Übermittlung noch technische Störungen bei der Übermittlung der eAU zu befürchten. 

Ausblick

Die eAU bringt weiteren technischen Fortschritt in die Arbeitswelt. Richtig ist, dass durch die gesetzlichen Neuregelungen deutliche Kosteneinsparungen möglich sind. Daneben bringt die eAU auch nicht zu unterschätzende Vorteile für alle Beteiligten. Dabei sind jedoch auch die etwaigen Problemfelder der eAU hinsichtlich technischer Umsetzung und Digitalisierung nicht zu unterschätzen. Abschließend sei zudem noch darauf hinzuweisen, dass die eAU nicht für alle Arbeitnehmer kommen wird. Das bisherige Verfahren des „gelben Zettels“ wird insbesondere bei privat versicherten Arbeitnehmern weiterhin bestehen bleiben. In Zukunft wäre hierbei eine einheitliche Linie wünschenswert. Es bleibt jedoch in jedem Fall spannend, wie die eAU in der Praxis umgesetzt wird und, ob insbesondere der Start dieses Digitalisierungsvorhabens reibungslos gelingen wird.

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