Bei Start-Ups sind die Grundsätze, die der BGH für eine positive Fortführungsprognose im Rahmen der Überschuldungsprüfung aufgestellt hat, nicht uneingeschränkt anwendbar. Erforderlich ist, dass das Start-Up mit überwiegender Wahrscheinlichkeit in der Lage ist, seine im Prognosezeitraum fälligen Zahlungsverpflichtungen zu decken, wobei die dafür erforderlichnen Mittel auch von Dritten (Fremdkapitalgeber oder Eigenkapitalgeber) zur Verfügung gestellt werden können. Bei Start-Ups ist die Selbstfinanzierungskraft keine Voraussetzung für eine positive Fortführungsprognose.
Im betreffenden Fall wurde auf Basis eines Eigenantrags vom Oktober 2016 im Dezember 2016 das Insolvenzverfahren über das Vermögen eines Start-Ups eröffnet. Bis dahin schaffte es das Start-Up nicht, Gewinne zu erzielen und finanzierte sich im Wesentlichen über Darlehen eines ehemaligen Gesellschafters.
Der Insolvenzverwalter des Start-Ups macht geltend, dass das Start-Up spätestens zum Ende des Jahres 2015 überschuldet gewesen sei. Da die seitens des Gesellschafters gewährten Darlehen keine qualifizierte Rangrücktrittserklärung enthielten, seien sie im Überschuldungsstatus vollständig zu passivieren. Stille Reserven hätten beim Start-Up nicht festgestellt werden können, auch sei nicht ersichtlich, dass die in den Bilanzen angesetzten Buchwerte unzutreffend wären. Eine positive Fortführungsprognose sei nicht dokumentiert und habe auch nicht bestanden. In der Folge sieht der Insolvenzverwalter einen Anspruch auf Ersatz masseschmälernder Zahlungen, die im Januar und Februar 2020 erfolgten.
Der Auffassung des Insolvenzverwalters folgt das OLG Düsseldorf nicht.
Gemäß § 64 S. 1 GmbHG i.d.F. vom 23.10.2008 sind die Geschäftsführer der Gesellschaft zum Ersatz von Zahlungen verpflichtet, die nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft oder nach Feststellung ihrer Überschuldung geleistet werden. Überschuldung liegt nach § 19 Abs. 2 S. 1 InsO in der bis zum 31.12.2020 geltenden Fassung vor, wenn das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, es sei denn, die Fortführung des Unternehmens ist nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich.
Beim betreffenden Start-Up lag die rechnerische Überschuldung spätestens zum 31.12.2015 unstrittig vor. Im vorliegenden Fall wurde nach Auffassung des OLG Düsseldorf und auch vom vorinstanzlichen LG davon ausgegangen, dass das Start-Up eine positive Fortführungsprognose treffen konnte, weil der ehemalige Gesellschafter zugesagt hatte, den Liquiditätsbedarf des Start-Ups entsprechend deren Planungen zu decken, solange diese realistisch erschienen.
Übereinstimmend mit der Auffassung des BGH (BGH, Urteil vom 14.05.2007, II ZR 48/06) sieht das OLG Düsseldorf die Selbstfinanzierungskraft bei Start-Ups nicht als Voraussetzung einer positiven Fortführungsprognose an. Es läge in der Natur der Sache, dass ein Start-Up zunächst nur Schulden mache und von Darlehen abhängig sei. In diesen Fällen müsse daher auf die Zahlungsfähigkeit im Prognosezeitraum abgestellt werden, wobei die erforderlichen Mittel auch von Dritten (Fremdkapitalgeber oder Eigenkapitalgeber) kurz-, mittel- oder langfristig zur Verfügung gestellt werden können. Die Fortführungsfähigkeit müsse im Rahmen des § 19 InsO überwiegend, also zu mehr als 50 % wahrscheinlich sein; maßgeblich sei, dass das Unternehmen mit überwiegender Wahrscheinlichkeit in der Lage ist, seine im Prognosezeitraum fälligen Zahlungsverpflichtungen zu decken.
Nach den vorstehenden Maßstäben sah das OLG Düsseldorf eine positive Fortführungsprognose als gegeben, weil eine dokumentierte Zahlungszusage des ehemaligen Gesellschafters im Zusammenhang mit einem Darlehen vorlag und sich das Start-Up darauf verlassen durfte, dass der ehemalige Gesellschafter bei Vorlage einer nachvollziehbaren Planung weitere Finanzmittel zur Verfügung stellt.