Das OLG München äußert sich in seinem Beschluss vom 07.01.2022 (31 Wx 399/18) zu der Berücksichtigung von Verträgen bei der Unternehmensbewertung vor dem Hintergrund des Stichtagsprinzips. Dem OLG München folgend ist es bezogen auf das Stichtagsprinzip nicht von Bedeutung, ob ein Vertrag zum Bewertungsstichtag bereits unterzeichnet worden ist, sondern ob zu diesem Zeitpunkt die zukünftige Unterzeichnung bereits mit hinreichend hoher Wahrscheinlichkeit vorauszusehen war.
Das OLG München hat in einem Squeeze-Out Verfahren zur Angemessenheit der Barabfindung nach Ausschluss von Minderheitsaktionären dargelegt, wie Vertragsabschlüsse im Sinne des Stichtagsprinzips bei Unternehmensbewertungen zu berücksichtigen sind.
Unternehmensbewertungen erfolgen regelmäßig zeitpunktbezogen zum Bewertungsstichtag (Stichtagsprinzip). Das heißt, dass bei einer Unternehmensbewertung grundsätzlich nur die am Bewertungsstichtag bestehenden Verhältnisse respektive bereits bekannten oder konkret eingeleiteten Maßnahmen berücksichtigt werden dürfen. Im Hinblick auf die Berücksichtigung von noch nicht eingetretenen Ereignissen gilt es zu berücksichtigen, dass nur diejenigen Ereignisse in der Planung beachtet werden dürfen, die zum Stichtag – nach vernünftiger kaufmännischer Beurteilung – bereits angelegt waren. Der BGH spricht hierbei von „in der Wurzel bereits angelegte(n) Ereignisse(n)“ (sogenannte Wurzeltheorie des BGH). Beim Stichtagsprinzip respektive der Wurzeltheorie des BGH handelt es sich um fundamentale Prinzipien einer ordnungsgemäßen Unternehmensbewertung.
In dem konkreten, vom OLG zu entscheidenden Fall ging es um zwei Kaufverträge über den Anteilserwerb zwischen zwei verbundenen Unternehmen, welche zwei Tage nach dem Hauptversammlungsbeschluss zum Squeeze-Out geschlossen wurden. In erster Instanz hatte das LG München die Beschwerde der Minderheitsaktionäre zur Berücksichtigung dieser Kaufverträge bei der Unternehmensbewertung zum Bewertungsstichtag respektive dem Tag der beschlussfassenden Hauptversammlung mit Verweis auf das Stichtagsprinzip abgewiesen. Das OLG München widersprach dieser Ansicht und verwies insbesondere auf die Aussage des verantwortlichen Notars, welcher bestätigte, dass er bereits einen Monat vor dem Bewertungsstichtag mit dem Entwurf eines Kaufvertrags beauftragt worden war.
Nicht maßgeblich sei es, ob Verträge vor oder nach dem Stichtag unterzeichnet wurden, sondern vielmehr, ob die erst nach dem Stichtag unterzeichneten Verträge bereits zum Bewertungsstichtag mit einer ausreichenden Wahrscheinlichkeit angelegt waren.
Die Vertragsentwürfe standen in dem vorliegenden Fall bereits zum Bewertungsstichtag fest und die Beteiligten waren sich darin einig, die Verträge nach der Beschlussfassung über den Squeeze-Out zu unterzeichnen. Ein für das OLG München in diesem Zusammenhang wesentlicher Aspekt für die Berücksichtigung der Vertragsentwürfe zum Bewertungsstichtag war, dass die Parteien die Verträge auch im Falle eines Scheiterns des Squeeze-Out final abschließen könnten, da in den Vertragsentwürfen lediglich ein Rücktrittsrecht im Falle des Scheiterns des Squeeze-Out vorgesehen war. Es konnte bei der vorliegenden Vertragsgestaltung daher nach Auffassung des OLG München nicht von einer „Entwurzelung“ durch eine untrennbare Verknüpfung zwischen dem Squeeze-Out und dem Erwerb der Geschäftsanteile ausgegangen werden. Dies wäre lediglich bei einer vertraglich vereinbarten aufschiebenden Bedingung anzunehmen, nicht aber wenn – wie im vorliegenden Verfahren – lediglich ein Rücktrittsrecht für den Fall des Scheiterns des Squeeze-Outs vereinbart wurde.