Der BFH hat mit Urteil vom 28.09.2022 (VIII R 20/20) entschieden, dass – entgegen der (damaligen) Auffassung der Finanzverwaltung – ein punktuell satzungsdurchbrechender Beschluss über eine inkongruente Vorabausschüttung einer GmbH als zivilrechtlich wirksamer Ausschüttungsbeschluss der Besteuerung zugrunde zu legen ist. Das BMF hat nun mit Schreiben vom 04.09.2024 entschieden, die Finanzbehörden zur allgemeinen Anwendung dieser Entscheidung zu verpflichten.
Mit Urteil vom 28.09.2022 hatte der BFH entschieden, dass ein punktuell satzungsdurchbrechender Beschluss über eine inkongruente Vorabausschüttung einer GmbH, der von der Gesellschafterversammlung einstimmig gefasst worden ist und von keinem Gesellschafter angefochten werden kann, als zivilrechtlich wirksamer Ausschüttungsbeschluss der Besteuerung zugrunde zu legen ist.
Der BFH widerspricht mit diesem Urteil ausdrücklich der Aussage im diesbezüglichen BMF-Schreiben vom 17.12.2013. Demnach setzt die steuerliche Anerkennung einer inkongruenten Gewinnausschüttung einer GmbH nämlich voraus, dass entweder im Gesellschaftsvertrag gemäß § 29 Abs. 3 Satz 2 GmbHG ein anderer Maßstab der Verteilung als das Verhältnis der Geschäftsanteile im Gesellschaftsvertrag festgesetzt wurde oder die Satzung eine Klausel enthält, nach der alljährlich mit Zustimmung der beeinträchtigten Gesellschafter oder einstimmig über eine von der satzungsmäßigen Regelung abweichende Gewinnverteilung beschlossen werden kann. Die Finanzverwaltung hatte bisher in kurzfristigen oder häufig geänderten Gewinnverteilungsvereinbarungen eine unangemessene Gestaltung vermutet.
Fallkonstellationen
In dem aktualisierten und mit Datum vom 04.09.2024 veröffentlichten BMF-Schreiben wird zur steuerlichen Anerkennung von inkongruenten – also vom Anteil am Grund- oder Stammkapital abweichenden – Gewinnausschüttungen nun ausgeführt, dass diese steuerrechtlich grundsätzlich dann anzuerkennen sind, wenn sie zivilrechtlich wirksam sind. Für die GmbH werden hierbei vier Fallkonstellationen unterschieden:
- Abweichende Regelung der Gewinnverteilung im Gesellschaftsvertrag
Im Gesellschaftsvertrag wurde gemäß § 29 Abs. 3 Satz 2 GmbHG ein anderer Maßstab der Verteilung als das Verhältnis der Geschäftsanteile festgelegt und die Ausschüttung erfolgt nach diesem Verhältnis. Für eine nachträgliche Änderung des Gesellschaftsvertrags zur Regelung einer inkongruenten Gewinnverteilung bedarf es der Zustimmung derjenigen Gesellschafter, die durch die Änderung benachteiligt sind. - Öffnungsklausel für abweichende Gewinnverteilung im Gesellschaftsvertrag
Der Gesellschaftsvertrag enthält eine (Öffnungs-) Klausel, die es erlaubt, mit Zustimmung der beeinträchtigten Gesellschafter eine von der satzungsmäßigen oder gesetzlichen Regelung abweichende Gewinnverteilung zu beschließen und der Beschluss wurde mit den notwendigen Gesellschafterzustimmungen und der ggf. im Gesellschaftsvertrag festgelegten Mehrheit gefasst. - Punktuell satzungsdurchbrechender Beschluss
Ein punktuell satzungsdurchbrechender Beschluss über eine inkongruente Vorabausschüttung, der von der Gesellschafterversammlung mit den Stimmen aller Gesellschafter gefasst worden ist und von keinem Gesellschafter angefochten werden kann, ist nach dem BFH-Urteil vom 28.09.2022 als zivilrechtlich wirksamer Ausschüttungsbeschluss steuerlich anzuerkennen. Ein punktuell satzungsdurchbrechender Beschluss liegt vor, wenn seine Wirkung sich in der betreffenden Maßnahme als Einzelakt erschöpft, sodass die Satzung durch den Beschluss zwar verletzt wird, aber nicht mit Wirkung für die Zukunft geändert werden soll. Ein satzungsdurchbrechender Gesellschafterbeschluss, der einen vom Regelungsinhalt der Satzung abweichenden rechtlichen Zustand mit Dauerwirkung (und sei es auch nur für einen begrenzten Zeitraum) begründet, ist (selbst im Fall eines einstimmig gefassten Beschlusses) nichtig, wenn bei der Beschlussfassung nicht alle materiellen und formellen Bestimmungen einer Satzungsänderung (insb. die notarielle Beurkundung und Eintragung des Beschlusses in das Handelsregister gem. § 53 Abs. 3 Satz 1, § 54 Abs. 1 GmbHG) eingehalten werden. - Gespaltene Gewinnverwendung, zeitlich inkongruente Gewinnausschüttung
In einem Urteil vom 28.09.2021 (VIII R 25/19) entschied der BFH, dass ein zivilrechtlich wirksamer Gesellschafterbeschluss, durch den der auf den Mehrheitsgesellschafter gemäß seiner Beteiligung entfallende Anteil am Gewinn nicht ausgeschüttet, sondern in eine gesellschafterbezogene Gewinnrücklage eingestellt wird, grundsätzlich auch steuerlich anzuerkennen ist. Dies gilt auch dann, wenn zugleich die Gewinnanteile von Minderheitsgesellschaftern ausgeschüttet werden. Die Einstellung eines Gewinnanteils in eine gesellschafterbezogene Gewinnrücklage führt auch bei einem beherrschenden Gesellschafter nicht zum Zufluss von Kapitalerträgen nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 i. V. m. § 11 Abs. 1 Satz 1 EStG.
Bei einer AG bleiben die strengen Voraussetzungen zur steuerlichen Anerkennung inkongruenter Gewinnausschüttungen bestehen. Auch nach dem neuen BMF-Schreiben vom 04.09.2024 sind inkongruente Gewinnausschüttungen einer AG nur anzuerkennen, wenn in der Satzung gem. § 60 Abs. 3 AktG ein vom Verhältnis der Anteile am Grundkapital (§ 60 Abs. 1 AktG) abweichender Gewinnverteilungsschlüssel festgelegt wurde und die Ausschüttung diesem Verhältnis entspricht. Eine inkongruente Gewinnausschüttung aufgrund einer Öffnungsklausel in der Satzung oder eines satzungsdurchbrechenden Beschlusses erfüllt diese Voraussetzungen gerade nicht.
Das BMF-Schreiben vom 04.09.2024 ersetzt das bisherige BMF-Schreiben vom 17.12.2013 und ist in allen noch offenen Fällen anzuwenden.