Zivilprozesskosten sind grundsätzlich steuerlich nur dann abzugsfähig, wenn der Steuerpflichtige ohne diese Aufwendungen Gefahr liefe, seine Existenzgrundlage zu verlieren. Das FG Niedersachsen hatte nun über einen solchen Fall zu entscheiden (Urteil vom 15.05.2024, 9 K 28/23).
Nachdem der deutsche Gesetzgeber im Jahr 2013 die Abzugsregeln deutlich verschärft hatte, sind Aufwendungen für die Führung eines Rechtsstreits (Prozesskosten) nach § 33 Abs. 2 Satz 4 EStG grundsätzlich vom Abzug als außergewöhnliche Belastungen ausgeschlossen. Eine Ausnahme ergibt sich nur dann, wenn der Steuerzahler ohne den Prozess (und dessen Kosten) Gefahr liefe, seine Existenzgrundlage zu verlieren und seine lebensnotwendigen Bedürfnisse in dem üblichen Rahmen nicht mehr befriedigen zu können.
Im vorliegenden Streitfall wurde dem Kläger im Jahr 2015 u. a. ein Forstbetrieb unentgeltlich im Wege der vorweggenommenen Erbfolge gegen Gewährung von Altenteilleistungen übertragen. Daraufhin beendete er seine Angestelltentätigkeit für den Betrieb und führte diesen als Selbständiger fort. Ebenfalls im Jahr 2015 forderte die Übergeberin gerichtlich die Rückübertragung des Betriebs, weil sie bei der Übertragung demenzbedingt geschäftsunfähig gewesen sei. Hiergegen setzte sich der Kläger vor den Zivilgerichten zur Wehr. Die entstandenen Prozesskosten machte er in seiner Einkommensteuererklärung als außergewöhnliche Belastungen geltend – das Finanzamt versagte dies jedoch im Zuge einer steuerlichen Außenprüfung.
Das FG Niedersachsen hingegen bejahte die Voraussetzungen zum Abzug als außergewöhnliche Belastungen und gab der eingereichten Klage statt. Die geltend gemachten Prozesskosten seien dem Kläger zwangsläufig entstanden. Ohne die Aufwendungen wäre er Gefahr gelaufen, seine Existenzgrundlage zu verlieren und seine lebensnotwendigen Bedürfnisse nicht mehr in dem üblichen Rahmen befriedigen zu können. Die als Existenzgrundlage i. S. d. § 33 Abs. 2 Satz 4 EStG verstandene materielle Lebensgrundlage des Steuerpflichtigen umfasse den wesentlichen Teil seines Vermögens oder seiner Arbeitskraft, die es ihm ermöglicht, einen nachhaltigen Ertrag zu erzielen.
Im vorliegenden Fall habe der Kläger seine lebensnotwendigen Bedürfnisse ganz überwiegend aus den Erträgen des von der Rückübertragung bedrohten Betriebs bestritten. Im Falle der Rückübertragung wären ihm Einkünfte unterhalb des Grundfreibetrags verblieben. Die Berührung des steuerlichen Existenzminimums erfülle jedenfalls den Tatbestand der Gefahr für die Existenzgrundlage und die Bedürfnisbefriedigung im üblichen Rahmen. Weiterhin sei diese auch zu bejahen, wenn der Verlust von mindestens 85 % des ertragbringenden Vermögens des Steuerpflichtigen drohe.
Das FG stellte fest, dass dem drohenden Verlust der Existenzgrundlage auch nicht entgegenstehe, dass der Kläger im Falle der Rückübertragung des Betriebs auch erneut eine Angestelltentätigkeit hätte aufnehmen können. Der Verlust der Existenzgrundlage erfordere keinen dauerhaften Verlust der materiellen Lebensgrundlage. Auch könne dem Kläger nicht entgegengehalten werden, im Notfall die Leistungen der sozialen Sicherungssysteme in Anspruch nehmen zu können.
Besonders bemerkenswert ist die Auslegung des Begriffs der „Existenzgrundlage“ durch das FG. Das FG Niedersachen bezieht diese nicht nur auf das absolute Minimum, das durch Sozialleistungen abgesichert wäre, sondern auch auf die Fähigkeit, sich aus eigenen Mitteln ein würdiges und selbstbestimmtes Leben zu finanzieren. Der übliche Rahmen i. S. d. § 33 Abs. 2 Satz 4 EStG beschreibe nicht das sozialrechtlich Notwendige, sondern das innerhalb der Vergleichsgruppe des Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstands Übliche.
Gegen das Urteil des FG Niedersachen wurde Revision beim BFH eingelegt (Az. VI R 22/24), die höchstrichterliche Entscheidung bleibt somit abzuwarten.