Die Halbjahresberichterstattung 2025 steht massiv unter dem Einfluss geopolitischer Unsicherheiten. Ausgelöst durch den Ukrainekrieg, den Krieg im Nahen Osten und der Handelspolitik der USA zwingen neue Zölle, Exportrestriktionen, Schwankungen auf Rohstoffmärkten und unterbrochene Lieferketten Unternehmen, die unternehmensindividuellen Auswirkungen in ihrer Berichterstattung nach IFRS sachgerecht abzubilden. Die Unternehmen haben in ihrer Halbjahresberichterstattung mit potenziellen Auswirkungen auf die Rechnungslegung zu rechnen. Hierzu hat das IDW einen fachlichen Hinweis mit Datum vom 27.06.2025 veröffentlicht.
Die wirtschaftliche Berichterstattung zum 30. Juni 2025 wird maßgeblich durch eine Vielzahl geopolitischer Unsicherheiten beeinflusst. Zu den Herausforderungen zählen der russische Angriffskrieg in der Ukraine, Exportbeschränkungen in China sowie die instabile und protektionistische US-Handelspolitik, die oft kurzfristige und teils widersprüchliche Maßnahmen wie Zollerhöhungen umfasst. Diese Entwicklungen haben signifikante Auswirkungen auf den globalen Handel und hierdurch auch auf Rohstoffpreise, Lieferketten und Wechselkurse – allesamt Faktoren, die direkt in die Unternehmensberichterstattung einfließen. Unternehmen geraten insbesondere bei der kurzfristigen Anpassung ihrer Rechnungslegung an neue Realitäten, wie durch Wertminderungen oder geänderte Steuergrundlagen, unter Druck.
Das IDW hat am 27.06.2025 einen Fachlichen Hinweis mit einem Umfang von 15 Seiten veröffentlicht, der zahlreiche Aspekte im Zusammenhang mit den Auswirkungen geopolitischer Unsicherheiten und Risiken auf die Halbjahresfinanzberichterstattung zum 30.06.2025 nach IFRS behandelt.
Im Folgenden werden zentrale Aussagen des Fachlichen Hinweises des IDW dargestellt.
1. Halbjahresberichterstattung nach IFRS
Nach § 115 Abs. 1 WpHG müssen inländische Emittenten einen Halbjahresbericht erstellen, der – bei Konzernen – konsolidiert und nach IFRS aufgestellt wird. Maßgeblich ist hierbei IAS 34, der den Zwischenbericht als Aktualisierung des vorherigen Jahresabschlusses definiert und auf neue Ereignisse und Geschäftsvorfälle fokussiert. Erforderlich sind mindestens ein verkürzter Abschluss sowie erläuternde Anhangangaben. Wichtig ist, dass dieselben Rechnungslegungsgrundsätze wie im Jahresbericht verwendet werden, z. B. für Abwertungen oder Rückstellungen. Änderungen innerhalb des Berichtszeitraums, wie bei Schätzungen oder Werthaltigkeitsprüfungen, müssen verdeutlicht werden.
Der Zwischenbericht dient vor allem der zeitnahen Information der Adressaten über wesentliche Veränderungen in der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage seit dem letzten Berichterstattungsstichtag. Zu den Angabepflichten zählen u. a. außergewöhnliche Geschäftsvorfälle, Marktveränderungen und wichtige Schätzungsannahmen (IAS 34.15–16A). Ziel ist es, eine transparente Fortführung der Berichterstattung unter Berücksichtigung neuer geopolitischer, ökonomischer oder gesetzlicher Entwicklungen sicherzustellen.
Um Unsicherheiten besser darzustellen, wird von Seiten des IDW empfohlen, den „Expected Cash Flow Approach“ (IAS 36.A2, .A4) zu nutzen. Dabei werden mehrere Szenarien mithilfe von Eintrittswahrscheinlichkeiten modelliert und bewertet, anstatt sich ausschließlich auf einen einzigen Zahlungsstrom zu stützen.
2. Betroffene Abschlussposten und potenzielle Risiken
Werthaltigkeitsprüfung, Vorräte und Anlagevermögen
Einen zentralen Risikofaktor für Unternehmen stellen Wertminderungen von Vermögenswerten dar. Gemäß IAS 36 sind Werthaltigkeitsprüfungen durchzuführen, wenn es Anzeichen für Wertverluste gibt – und solche „triggering events“ sind in der aktuellen geopolitischen Lage allgegenwärtig. Dazu zählen z. B. signifikante Veränderungen der Marktpreise, Unterbrechungen von Lieferketten oder regulatorische Eingriffe, wie handelsbeschränkende Zölle.
Im Rahmen der Werthaltigkeitsprüfung wird der erzielbare Betrag eines Vermögenswerts geschätzt, wobei der höhere Wert aus „Fair Value abzüglich Veräußerungskosten“ und „Nutzungswert“ angesetzt wird. Diese Schätzungen werden aufgrund der schwierigen Prognostizierbarkeit geopolitischer Entwicklungen zur Herausforderung: Unternehmen müssen ihre Annahmen nachvollziehbar und umfassend dokumentieren, insbesondere bei Sensitivitätsanalysen.
Wertminderungen könnten sich nicht nur auf Sachanlagen, sondern auch auf Vorräte und immaterielle Vermögenswerte stark auswirken – etwa bei nachlassendem Absatz oder gestiegenen Produktionskosten.
Beispiele: Fertigungsmaterialien, die zu erhöhten Anschaffungskosten aufgrund von Importzöllen beschafft wurden, könnten bei nachfragerückläufigen Märkten auf den Nettoveräußerungswert abgeschrieben werden müssen. Ähnliches betrifft Sachanlagen, deren vorzeitige Stilllegung durch unerwartete Marktänderungen notwendig werden könnte (IAS 16).
Besonders hervorgehoben wird von Seiten des IDW, dass transportbedingte Risiken aufgrund geopolitischer Spannungen (z. B. alternative Transportwege zur Umgehung unsicherer Regionen) in die Bewertung der Vermögenswerte einzufließen haben. Ebenso ist der Stichtagsbezug bei der Bewertung strikter zu handhaben: Spätere Ereignisse dürfen nicht rechnerisch „geglättet“ werden, sondern sind lediglich für Sensitivitätsanalysen relevant.
Rückstellungen
Ein weiteres zentrales Thema der Zwischenberichterstattung sind Rückstellungen. Unternehmen, die aufgrund geopolitischer Entwicklungen steigende Kosten oder nachlassende Marktchancen sehen, müssen bewerten, ob bestehende Verträge zu einer Belastung werden. Ist ein Vertrag unvermeidbar defizitär – also sind die Kosten zur Erfüllung höher als der erwartete Nutzen –, muss gemäß IAS 37 eine Rückstellung gebildet werden.
Zusätzlich könnten Rückstellungen für Restrukturierungsmaßnahmen erforderlich sein, falls Unternehmen im Zuge gesetzlicher oder wirtschaftlicher Veränderungen strategische Neuausrichtungen planen. Voraussetzung ist jedoch, dass ein detaillierter Plan vorliegt und dieser den Betroffenen bereits kommuniziert wurde. Auch Änderungen von gesetzlichen Rahmenbedingungen, so z. B. angekündigte Steuer- oder Zollanpassungen, spielen hier eine Rolle. Gleichzeitig bleibt die Bildung von Rückstellungen für künftige betriebliche Verluste weiterhin ausgeschlossen – eine Herausforderung, insbesondere für Unternehmen, die geopolitischen Risiken entgegenblicken und Ertragseinbußen befürchten.
Unverändert gilt: Für künftige betriebliche Verluste (z. B. erwarteter Nachfragerückgang, vorübergehende oder geplante Einstellung eines Geschäftsbetriebs) dürfen keine Rückstellungen angesetzt werden (IAS 37.63). Die Erwartung künftiger betrieblicher Verluste ist jedoch ein Anzeichen für eine mögliche Wertminderung bestimmter Vermögenswerte des Unternehmensbereichs (IAS 37.65).
Es ist hierbei hervorzuheben, dass Rückstellungen für Beschäftigungsmaßnahmen wie Abfindungen oder Versetzungen den Vorgaben des IAS 19 unterliegen und nicht unter IAS 37 bilanziert werden können. Zudem empfiehlt es sich, über die Auflösung von Rückstellungen zu berichten, sofern sich wesentliche Änderungen in Restrukturierungsmaßnahmen ergeben (IAS 34).
Im Folgenden werden weitere relevante Aspekte der Rechnungslegung in wirtschaftlich schwierigen Zeiten skizziert:
- Umsatzrealisierung: IFRS 15 verlangt eine Neubewertung sowohl bestehender als auch neuer Verträge, wenn die Zahlungsfähigkeit von Kunden fraglich wird. Gerade vor dem Hintergrund von Insolvenzen oder wirtschaftlichen Rückgängen in kritischen Märkten ist hierbei Vorsicht geboten.
- Ertragsteuern: Aktive latente Steuern dürfen nur in dem Maße angesetzt werden, wie von der Nutzbarkeit der entsprechenden Steuervorteile durch künftige steuerliche Gewinne auszugehen ist. Wenn sich die bisherigen Annahmen hinsichtlich der Nutzung und Realisierung der aktiven latenten Steuern, insbesondere auch im Zusammenhang mit steuerlichen Verlustvorträgen, geändert haben, könnten sich Aufwendungen aus einer Abwertung bisher bilanzierter Positionen ergeben.
- Finanzinstrumente: Unsicherheiten und volatile Marktentwicklungen erschweren die Klassifizierung, Bewertung und Risikovorsorge bei Finanzinstrumenten gemäß IFRS 9. Die Bestimmung erwarteter Kreditverluste muss angepasst und transparent offengelegt werden.
- Kreditvereinbarungen (Covenants): Unternehmen, die mittels solcher Vereinbarungen finanzieren, müssen Umstände offenlegen, die eine Rückzahlungspflicht vorzeitig auslösen könnten, bspw. durch geopolitische oder wirtschaftliche Verschlechterungen (IAS 34.15B(i)).
3. Berichterstattung
Im Bereich der Berichterstattung sind über die bereits genannten Aspekte hinaus u. a. die folgenden Aspekte zu beachten:
- IAS 1 verlangt die Angabe der Ermessensentscheidungen, die das Management bei der Anwendung von Rechnungslegungsmethoden vorgenommen hat und die die Beträge, die im Abschluss ausgewiesen werden, beeinflussen. Auch wenn in verkürzten Zwischenabschlüssen die entsprechenden Anhangangaben nicht explizit bzw. unmittelbar einschlägig sind, so sind sie dennoch empfehlenswert und im Einzelfall auch erforderlich. Dies betrifft insbesondere die Fälle, in denen während der Zwischenberichtsperiode Ereignisse oder Geschäftsvorfälle stattgefunden haben, die für das Verständnis für die im Vergleich zum letzten jährlichen Abschluss veränderte Vermögens-, Finanz- und Ertragslage erheblich sind.
- Während die aktuellen Gegebenheiten am Abschlussstichtag (Wertaufhellung) unmittelbar Einfluss nehmen auf die Bilanzierung und Bewertung, ist über die Ereignisse nach dem Stichtag (Wertbegründung), die bis zur Aufstellung des Zwischenabschlusses eingetreten sind, ebenso zu berichten. Demzufolge müssen bilanzierende Unternehmen – je nach Betroffenheit – die weiteren Entwicklungen, bspw. in der globalen Zollpolitik, den Kriegsgeschehnissen im Nahen Osten oder in der Ukraine etc., im Hinblick auf mögliche Auswirkungen auf ihren Zwischenbericht auch über den Abschlussstichtag hinaus weiterverfolgen. Eine Verschlechterung der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage nach dem Abschlussstichtag kann ein Hinweis darauf sein, dass überprüft werden muss, ob die Aufstellung des Abschlusses unter der Annahme der Unternehmensfortführung noch angemessen ist (IAS 10.15).
4. Going Concern
Bei der Aufstellung eines Abschlusses hat das Management die Fähigkeit des Unternehmens, den Geschäftsbetrieb fortzuführen, einzuschätzen. Hierbei hat das Management die voraussichtliche Entwicklung des Unternehmens über einen Zeitraum von mindestens zwölf Monaten zu betrachten. Die Annahme, ob der (Zwischen-) Abschluss unter der Annahme einer positiven Unternehmensfortführung aufgestellt werden darf, stellt eine zentrale Annahme bei der Bilanzierung, Bewertung und Berichterstattung des Unternehmens zum betreffenden Abschlussstichtag dar.
Bei der Beurteilung, ob von der Annahme der Unternehmensfortführung vertretbar ausgegangen werden darf, sind alle Faktoren zu berücksichtigen, die sich bspw. auf die gegenwärtige und erwartete Rentabilität und Liquidität des Unternehmens auswirken. Hierbei spielen die Auswirkungen der Rechnungslegung zum Abschlussstichtag und die Einschätzung der künftigen Geschäftsentwicklung und Renditen ebenso eine Rolle wie eine sich ergebende Verschlechterung der Möglichkeiten zur (Re-) Finanzierung des Unternehmens.
5. Ausblick
Die Entwicklungen in der US-Steuerpolitik verschärfen die Lage weiter. Der verabschiedete „One Big Beautiful Bill Act“ sieht u. a. eine neue Regelung (Sec. 899 IRC) vor, die zusätzliche Quellensteuern auf Einkünfte aus Staaten mit für die USA „diskriminierenden“ Steuerregelungen vorsieht – darunter auch Staaten mit Digitalsteuern oder der neuen Mindestbesteuerung (UTPR). Deutsche Unternehmen mit transatlantischen Geschäftsbeziehungen müssen sich somit auf höhere Steuerlasten einstellen, was direkte Anpassungen bei den Ertragsteuern, deren Bilanzierung bzw. der erforderlichen Steuerstrategie erforderlich macht. Entscheidend ist, ob die neuen Regelungen bis zum Abschlussstichtag 30. Juni 2025 in Kraft getreten sind und damit bilanzielle Berücksichtigung finden müssen.
Fazit
Die Halbjahresberichterstattung 2025 ist eine Bewährungsprobe für Unternehmen. Werthaltigkeitsprüfungen und Rückstellungen stehen im Mittelpunkt, da sie die wirtschaftlichen Auswirkungen geopolitischer Unsicherheiten unmittelbar abbilden. Gleichzeitig setzen volatile Märkte, schwankende Kundenbonität und neue regulatorische Anforderungen die Finanzplanung unter Druck. Vor allem deutsche Unternehmen mit US-Verflechtungen müssen die Entwicklungen in der amerikanischen Steuerpolitik im Blick behalten, um rechtzeitig auf mögliche Belastungen zu reagieren.
Die allgemeinen wirtschaftlichen und geopolitischen Unsicherheiten finden ihren Niederschlag in der Bilanzierung, Bewertung und Berichterstattung der Unternehmen und müssen hinsichtlich der Prognose- und Planungsdaten angemessen berücksichtigt werden. Dies gilt für die Halbjahresberichte nach IFRS ebenso wie für alle weiteren unterjährigen Abschlussstichtage, zu denen bilanziert, bewertet und berichtet wird. Im Hinblick auf den Jahresabschluss 2025 muss rechtzeitig geprüft werden, welche Auswirkungen sich ergeben werden oder können. Hierbei ist auch bereits auf eine zutreffende Berücksichtigung der Aspekte, die sich bereits unterjährig auswirken, zu achten.