Das Bundeskabinett hat am 30.03.2022 den Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung der Abgabenordnung (“AO”) und des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung beschlossen. Der Gesetzentwurf senkt den Zinssatz für Nachzahlungs- und Erstattungszinsen nach § 233a AO rückwirkend ab dem 01.01.2019 auf 0,15 % pro Monat (= 1,8 % pro Jahr). Die Angemessenheit dieses Zinssatzes ist unter Berücksichtigung der Entwicklung des Basiszinssatzes mindestens alle drei Jahre mit Wirkung für nachfolgende Verzinsungszeiträume zu evaluieren – also erstmals zum 01.01.2026.
Die Neuregelung soll den Beschluss des
Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 8. Juli 2021 – 1 BvR 2237/14 und
1 BvR 2422/17 (BGBl. I 2021 S. 4303) umsetzen. Das
BVerfG hatte entschieden, dass die Verzinsungshöhe von 0,5 % pro Monat bei
Steuernachforderungen und Steuererstattungen verfassungswidrig ist und hat den
Gesetzgeber dazu verpflichtet, bis zum 31.07.2022 eine verfassungsgemäße
Neuregelung zu treffen.
Die Neuregelung des Zinssatzes für Nachzahlungs-
und Erstattungszinsen für Verzinsungszeiträume ab 01.01.2019 gilt für alle
Steuern, auf die die Vollverzinsung nach § 233a AO anzuwenden ist. Der
Erlass von Nachzahlungszinsen bei vor Fälligkeit freiwillig geleisteten
Zahlungen soll nun im Gesetz verankert werden und damit sich auch auf die von
Kommunen verwaltete Gewerbesteuer erstrecken.
Nachfolgend soll ein Überblick über die relevanten
Änderungen des Entwurfes („E“) des Zweiten Gesetzes zur Änderung der
Abgabenordnung und des Einführungsgesetztes zur Abgabenordnung, bezogen auf die
Vollverzinsung nach § 233a AO gegeben werden:
1.
Senkung des Zinssatzes für Nachzahlungs- und
Erstattungszinsen
Der Zinssatz für Nachzahlungs- und
Erstattungszinsen nach § 233a AO – das heißt auf Einkommensteuer,
Körperschaftsteuer, Umsatzsteuer und Gewerbesteuer – soll für
Verzinsungszeiträume ab dem 01.01.2019 0,15 % für jeden Monat, also
1,8 % für jedes Jahr betragen (§ 238 Abs. 1a AO-E).
Hinweis: Die Entscheidung des BVerfG erstreckt sich
ausdrücklich nicht auf andere Verzinsungstatbestände nach der
Abgabenordnung zulasten der Steuerpflichtigen, namentlich auf Stundungs-,
Hinterziehungs- und Aussetzungszinsen nach §§ 234, 235 und 237 AO.
Die Frage, ob auch für andere Zinsen nach der AO oder den Einzelsteuergesetzen
sowie für Säumniszuschläge nach § 240 AO eine Neuregelung des
Zinssatzes erfolgen soll, ist nicht Gegenstand dieses Gesetzes(entwurfs).
2.
Unterschiedliche Zinssätze
Sind für einen Zinslauf unterschiedliche
Zinssätze maßgebend, ist der Zinslauf in Teilverzinsungszeiträume aufzuteilen.
Die Zinsen für die Teilverzinsungszeiträume sind jeweils tageweise zu
berechnen. Hierbei wird jeder Kalendermonat unabhängig von der tatsächlichen
Anzahl der Kalendertage mit 30 Zinstagen und jedes Kalenderjahr mit 360 Tagen
gerechnet.
3.
Sogenannte Evaluierungsklausel
Wenigstens alle drei Jahre ist die
Angemessenheit des Zinssatzes – unter Berücksichtigung der Entwicklung des
Basiszinssatzes nach § 247 BGB – zu evaluieren, erstmals spätestens
zum 01.01.2026. Eine Änderung des Zinssatzes sollte möglichst erst dann
erfolgen, wenn der zum 01.01. des Jahres der Evaluation geltende Basiszinssatz
um mehr als einen Prozentpunkt von dem bei der letzten Festlegung oder
Anpassung des Zinssatzes nach § 238 Abs. 1a AO-E geltenden
Basiszinssatz abweicht. Außerdem sollte die Anpassung des Zinssatzes dann nur
mit Wirkung für folgende Kalenderjahre erfolgen.
Unabhängig von diesen Regelungen kann der
Gesetzgerber bei signifikanten Änderungen des Basiszinssatzes auch schon zu
einem früheren Zeitpunkt eine Anpassung des Zinssatzes anordnen. Auch in diesem
Fall sollte die Anpassung des Zinssatzes nur mit Wirkung für nachfolgende
Verzinsungszeiträume erfolgen.
4.
Festsetzungsfrist
für Zinsen auf zwei Jahre verlängert
Die Praxis hat gezeigt, dass die bislang einjährige
Festsetzungsfrist für Zinsen (§ 239 Abs. 1 S. 1 AO)
nicht immer ausreicht. In Anlehnung an die Ablaufhemmung der Festsetzungsfrist
für Steuern in § 171 Abs. 10 (betreffend Grundlagenbescheide)
[und Abs. 10a] AO wird diese Frist deshalb auf zwei Jahre
verlängert.
Die Neuregelung gilt in allen Fällen, in denen die
Festsetzungsfrist am Tag nach der Verkündigung des Änderungsgesetzes noch nicht
abgelaufen ist.
5.
Anrechnung der nach § 233a AO
festgesetzten Zinsen auf andere Verzinsungstatbestände nach der Abgabenordnung
Nach § 233a AO festgesetzte Zinsen sind
unter bestimmten Voraussetzungen auf festzusetzende Stundungszinsen,
Hinterziehungszinsen, Prozesszinsen und Aussetzungszinsen anzurechnen. Bislang
war aber unklar, nach welcher Vorschrift die Festsetzung jener Steuern
aufzuheben oder zu ändern ist, wenn sich die Festsetzung der Zinsen nach
§ 233a AO ändert und dies Auswirkungen auf deren Anrechnung hat.
Die Zinsfestsetzung nach § 233a AO ist
nunmehr Grundlagenbescheid für die Zinsfestsetzungen, soweit die Zinsen anzurechnen
sind.
6.
Last-in-first-out-Prinzip bei der Zuordnung zu
verzinsender Steuerzahlungen
Hierbei geht es unter anderem um die Berechnung von
Erstattungszinsen bei mehrfachen Änderungen von Steuerfestsetzungen. Besteht
der Erstattungsbetrag aus mehreren Teil-Leistungen, richtet sich der
Zinsberechnungszeitraum jeweils nach dem Zeitpunkt der einzelnen Leistungen.
Dabei sind die Leistungen in chronologischer Reihenfolge zu berücksichtigen,
beginnend mit der jüngsten Leistung.
7.
Billigkeitsregelung über den Erlass von
Nachzahlungszinsen aufgrund „freiwilliger“ Zahlungen
Nachzahlungszinsen sind nicht festzusetzen
oder zu erlassen, soweit Zahlungen oder andere Leistungen auf eine später
wirksam gewordene Steuerfestsetzung erbracht wurden, die Finanzbehörden diese
Leistungen angenommen und auf die festgesetzte und zu entrichtende Steuer
angerechnet hat. Der Zinsverzicht mindert sich rückwirkend, wenn die
zugrundeliegende Festsetzung von Nachzahlungszinsen zugunsten des Steuerpflichtigen
geändert wird. Diese Regelung dient der Vermeidung einer ungerechtfertigten
Doppelbegünstigung und entspricht der bisherigen Praxis.
Praxishinweis: Die Annahme freiwilliger Zahlungen
und vergleichbarer Leistungen steht – wie bisher – im pflichtgemäßen Ermessen
der Finanzbehörde, im Fall der Verwaltung der Gewerbesteuer durch
die Gemeinde im Ermessen der jeweiligen Gemeinde. Damit wird verhindert, dass
die Finanzbehörde oder Gemeinde ohne sachliche Rechtfertigung der Zahlung oder
Leistung als „Sparkasse“ missbraucht werden kann.
Geplant ist, dass der gesamte Gesetzgebungsprozess bis Ablauf der vom BVerfG gesetzten Frist im Juli 2022 abgeschlossen ist.