Der BFH kommt in seinem Beschluss vom 08.05.2024 zu dem Ergebnis, dass der Zinssatz bei den Aussetzungszinsen verfassungswidrig zu hoch sei und ruft das BVerfG an. Das BVerfG hat nun darüber zu entscheiden, ob eine Verzinsung im Rahmen der Aussetzung der Vollziehung mit 0,5 % im Monat bzw. 6 % im Jahr mit der Verfassung vereinbar ist. Laut BFH kommt es durch die aktuelle Verzinsung zu gleichheitssatzeswidrigen Ungleichbehandlungen sowie einer nicht mehr realitätsgerechten Typisierung zur Abschöpfung des Liquiditätsvorteils der Aussetzung der Vollziehung.
Die Verfassungsmäßigkeit der Höhe der Aussetzungszinsen ist in der jüngeren Vergangenheit mehrfach Gegenstand der Rechtsprechung gewesen. Zuletzt hatte das FG München mit seinem Beschluss vom 24.06.2024 (7 V 11/24) ernstliche rechtliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Höhe der Aussetzungszinsen erhoben (vgl. News vom 07.08.2024). Auch das FG Münster hat sich in seinem Urteil vom 08.03.2023 (6 K 2094/22 E) mit der Thematik auseinandergesetzt, sah jedoch die Verfassungsmäßigkeit der Höhe der Aussetzungszinsen als gegeben an. Infolgedessen kam es zu einem Revisionsverfahren vor dem BFH. Mit Beschluss vom 08.05.2024 (VIII R 9/23) kommt der BFH zu dem Ergebnis, dass die Höhe der Aussetzungszinsen für den im Verfahren maßgebenden Zeitraum vom 01.01.2019 bis zum 15.04.2021 verfassungswidrig ist und ruft daher das BVerfG an, über die Verfassungsmäßigkeit der Höhe der Aussetzungszinsen zu entscheiden.
Das BVerfG hatte bereits in seinem Beschluss vom 08.07.2021 (1 BvR 2237/14) die Höhe der Nachzahlungszinsen im Sinne des § 233a i. V. m. § 238 Abs. 1 Satz 1 AO ab dem 01.01.2014 als verfassungswidrig erklärt. Andere Teilverzinsungstatbestände wie die Aussetzungszinsen waren damals aber nicht vom BVerfG thematisiert worden. Insoweit blieb es im Fall der Aussetzungszinsen bei einer Verzinsung mit 0,5 % im Monat bzw. 6 % im Jahr, während die Nachzahlungszinsen seit dem 01.01.2019 lediglich mit 0,15 % im Monat bzw. 1,8 % im Jahr veranschlagt werden.
Die in dem in der Entscheidung maßgebenden Zeitraum anhaltende strukturelle Niedrigzinsphase ist ebenso wie in der Entscheidung des BVerfG zur Höhe der Nachzahlungszinsen ausschlaggebend für die verfassungsrechtliche Einordnung. Der BFH zweifelt u. a. aus folgenden Gründen an der Verfassungsmäßigkeit der Höhe der Aussetzungszinsen:
- Nach Auffassung des BFH kommt es aufgrund der unterschiedlichen Höhe der Verzinsung im Falle der Nachzahlungszinsen und der Aussetzungszinsen zu einer verfassungswidrigen Ungleichbehandlung. Die Zinsspreizung zwischen Nachzahlungszinsen i.H.v. 1,8 % im Jahr und Aussetzungszinsen von 6 % im Jahr sei verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt.
- Zudem stellt es der BFH in Frage, ob Steuerpflichtige durch die Höhe der Aussetzungszinsen von 6 % im Jahr in ihrer Entscheidung zur Inanspruchnahme von vorläufigem Rechtsschutz beeinflusst werden. Die Entscheidung des Steuerpflichtigen aufgrund wirtschaftlicher Erwägungen könnte insbesondere durch die Höhe der Aussetzungszinsen beeinflusst werden, sodass die Zinshöhe zumindest mittelbar den Zugang zu effektivem Rechtsschutz beschränke.
- Bei der verfassungsrechtlichen Prüfung ist nach Auffassung des BFH überdies zu berücksichtigen, dass ein Teil der Steuerpflichtigen wirtschaftlich nicht auf die Aussetzung der Vollziehung verzichten kann. Insbesondere Steuerpflichtige, die nicht über ausreichende Eigenmittel verfügen und auch nicht oder nicht rechtzeitig ausreichend hohe Fremdmittel beschaffen können, um den geschuldeten Betrag sofort zu begleichen, werden durch die Aussetzung der Vollziehung entlastet.
- Der Zweck der Aussetzungszinsen, Liquiditätsvorteile des Steuerpflichtigen abzuschöpfen und Liquiditätsnachteile des Fiskus auszugleichen, ist laut BFH zweifellos legitim. Allerdings sei die Höhe der Aussetzungszinsen von 6 % im Jahr im vorliegenden Zeitraum aufgrund des geltenden Niedrigzinsniveaus als Typisierung evident nicht mehr in der Lage die Vorteilsabschöpfung realitätsgerecht abzubilden.
Der BFH kommt in seiner Entscheidung vom 08.05.2024 zu dem Ergebnis, dass der Zinssatz bei den Aussetzungszinsen verfassungswidrig zu hoch sei. Die Lage zur Verfassungswidrigkeit der Höhe der Aussetzungszinsen bleibt damit weiterhin dynamisch. In der Vorinstanz wurde die Verfassungsmäßigkeit hingegen nicht beanstandet. Nunmehr liegt die Frage zur Verfassungsmäßigkeit der Höhe der Aussetzungszinsen i. H. v. 6 % im Jahr dem BVerfG vor. Es bleibt abzuwarten, ob nach mehr als drei Jahren nach der Entscheidung zur Verfassungswidrigkeit der Nachzahlungszinsen i. H. v. 6 % im Jahr nunmehr auch die Aussetzungszinsen i. H. v. 6 % im Jahr als verfassungswidrig eingestuft werden.