Die aktuelle Bilanzierung und Bewertung stehen unter dem Einfluss geopolitischer Unsicherheiten. Ausgelöst insbesondere durch den seit Jahren andauernden Ukrainekrieg, den Krieg im Nahen Osten und die Handelspolitik der USA, zwingen neue Zölle, Exportrestriktionen, Schwankungen auf Rohstoffmärkten und unterbrochene Lieferketten Unternehmen, die unternehmensindividuellen Auswirkungen in ihrer Berichterstattung nach HGB sachgerecht abzubilden. Die Unternehmen müssen auch in ihrer Halbjahresberichterstattung bzw. unterjährigen Rechnungslegung mit potenziellen Auswirkungen auf die Bilanzierung und Bewertung rechnen.
Hintergrund
Die wirtschaftliche Berichterstattung zum 30.06.2025 sowie unterjährig im Jahr 2025 wird maßgeblich durch eine Vielzahl geopolitischer Unsicherheiten beeinflusst. Zu den Herausforderungen zählen bspw. der andauernde russische Angriffskrieg in der Ukraine, Exportbeschränkungen in China sowie die instabile und protektionistische US-Handelspolitik, die oft kurzfristige und teils widersprüchliche Maßnahmen wie Zollerhöhungen umfasst. Diese Entwicklungen haben signifikante Auswirkungen auf den globalen Handel und hierdurch auch auf Rohstoffpreise, Lieferketten und Wechselkurse – allesamt Faktoren, die direkt in die Unternehmensberichterstattung einfließen. Unternehmen geraten insbesondere bei der kurzfristigen Anpassung ihrer Rechnungslegung an neue Realitäten, z. B. durch Wertminderungen oder geänderte Steuergrundlagen, unter Druck.
Im Folgenden werden zahlreiche ausgewählte Aspekte im Zusammenhang mit den Auswirkungen geopolitischer Unsicherheiten und Risiken auf die Bilanzierung und Bewertung zum 30.06.2025 nach HGB überblicksartig betrachtet. Die entsprechenden Hinweise gelten ebenso für die weitere unterjährige Berichterstattung.
Betroffene Abschlussposten und potenzielle Risiken
Anlagevermögen und Vorräte
Die Bewertung des Sachanlagevermögens bleibt weitgehend unberührt von den politischen sowie wirtschaftlichen Unsicherheiten. Hierbei gelten unverändert für das Anlagevermögen die Bewertungsvorschriften gem. § 253 Abs. 3 HGB, die nur bei dauerhaften Wertminderungen eine außerplanmäßige Abschreibung gem. § 253 Abs. 3 Satz 5 HGB erfordern. Bei dieser Beurteilung sind allerdings die aktuellen externen Faktoren zu berücksichtigen.
Dem Sachanlagevermögen stehen die immateriellen Vermögensgegenstände und die Finanzanlagen gegenüber, welche durch geopolitische und wirtschaftliche Unsicherheiten in manchen Fällen neu bewertet werden müssen. Besonders anfällig sind Geschäfts- oder Firmenwerte sowie Finanzanlagen – z. B. Anteile an verbundenen Unternehmen und Beteiligungen –, da ihre Werthaltigkeit stark von zukünftigen Ertragsaussichten und Marktbedingungen, wie etwa der Inflationsrate oder den Leitzinsen, abhängt. Werden Geschäfts- oder Firmenwerte aufgrund eines Wertberichtigungsbedarfs außerplanmäßig abgeschrieben, so ist zu beachten, dass im Gegensatz zu anderen Vermögensgegenständen ein Wertaufholungsverbot gem. § 253 Abs. 5 Satz 2 ggf. i.V.m. § 298 Abs. 1 HGB besteht.
Bei Vorräten erfolgt eine Bewertung nach § 253 Abs. 1 Satz 1 HGB grundsätzlich zu Anschaffungs- oder Herstellungskosten. Sofern der beizulegende Wert am Abschlussstichtag dauerhaft unter diesen liegt, ist gemäß dem strengen Niederstwertprinzip im Umlaufvermögen unabhängig von der voraussichtlichen Dauer dieser Wertminderung eine außerplanmäßige Abschreibung vorzunehmen. Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe, aber auch fertige und unfertige Erzeugnisse müssen außerplanmäßig abgeschrieben werden, sofern sie nicht mehr zu einem auskömmlichen Preis verarbeitet oder veräußert werden können. Der beizulegende Wert bemisst sich dann regelmäßig nach dem vermutlich erzielbaren Veräußerungspreis abzüglich der noch anfallenden Kosten. Hierbei ist zu beachten, dass es aufgrund von Lieferengpässen oder sinkender Nachfrage zu vorübergehenden Stilllegungen oder Nutzungseinschränkungen in der Fertigung kommen kann, wodurch die Fertigungsgemeinkosten steigen. Diese sind als sog. „Leerkosten“ nicht den Herstellungskosten zuzuschreiben und stellen einen Aufwand der Periode dar.
Ertragsteuern und latente Steuern
Latente Steuern sind im HGB anzusetzen, wenn sich Unterschiede zwischen der HGB-Bilanz und der Steuerbilanz ergeben. Die US-Handelspolitik und/oder sonstige geo- und wirtschaftspolitische Unsicherheiten und Risiken können erheblichen Einfluss auf die Geschäftsmodelle von Unternehmen nehmen. In der Folge könnten auch die Finanz- und Steuerplanung betroffen sein. Sollte sich durch derartige Unsicherheiten ein negativer Effekt auf die Prognosen zukünftiger steuerlicher Erträge ergeben, kann dies sowohl den Ansatz als auch die Bewertung aktiver latenter Steuern erheblich beeinträchtigen. Die Aktivierung aktiver latenter Steuern aus temporären Differenzen gem. § 274 Abs. 1 Satz 2 HGB setzt voraus, dass in den zukünftigen Perioden, in denen der Abbau dieser Differenzen erfolgen wird, ein steuerliches Einkommen vorhanden ist, mit dem die Differenzen verrechnet werden können. Gleiches gilt hinsichtlich aktiver latenter Steuern, die sich aus der Nutzung steuerlicher Verlustvorträge in späteren Perioden ergeben. Allerdings dürfen latente Steuern auf Verlustvorträge nur in dem Umfang berücksichtigt werden, in dem eine Verrechnung innerhalb einer Nutzung der nächsten fünf Jahre möglich ist (§ 274 Abs. 1 Satz 4 HGB; DRS 18.21 f.). Soweit nach diesen Grundsätzen in künftigen Perioden keine Steuerentlastung mehr realisiert werden kann, sind auf bereits berücksichtigte aktive latente Steuern entsprechende Wertkorrekturen – und damit eine Belastung des Jahresergebnisses – erforderlich (vgl. DRS 18.12 ff.).
Die Prognose künftiger steuerlicher Einkommen ist aus einer Planungsrechnung des Unternehmens abzuleiten. Soweit hier durch die Berücksichtigung der Auswirkungen der US-Handelspolitik und/oder sonstiger geo- und wirtschaftspolitischer Unsicherheiten und Risiken künftige steuerliche Einkommen entfallen oder reduziert werden und dadurch berücksichtigte aktive latente Steuern nicht mehr realisiert werden können, sind entsprechende Anpassungen erforderlich.
Verbindlichkeiten
Auf die Bilanzierung von Verbindlichkeiten dürften sich die US-Handelspolitik sowie sonstige geo- und wirtschaftspolitische Unsicherheiten und Risiken nur in Ausnahmefällen (etwa im Falle einer mit einer Umschuldung bzw. Modifizierung von Darlehensparametern einhergehenden Novation) auswirken, da sich der Erfüllungsbetrag der Verbindlichkeit durch die Auswirkungen ansonsten nicht verändert.
Können infolge der US-Handelspolitik sowie sonstiger geo- und wirtschaftspolitischer Unsicherheiten und Risiken Kreditvereinbarungsklauseln (Covenants) nicht eingehalten werden und berechtigt die Nichteinhaltung den Gläubiger zur vorzeitigen Fälligstellung eines Darlehens, wirkt sich dies grundsätzlich nicht auf die Bewertung der Verbindlichkeit selbst aus. Auswirkungen können sich allerdings auf die nach §§ 268 Abs. 5 Satz 1, 285 Nr. 1 Buchst. a HGB anzugebenden Restlaufzeiten – und damit auf den Ausweis – ergeben.
Rückstellungen
Geo- sowie wirtschaftspolitische Unsicherheiten können sich auch auf die Bildung und Bewertung von Rückstellungen auswirken. Im Fokus stehen hierbei insbesondere Rückstellungen für drohende Verluste.Diese sind gem. § 249 Abs. 1 Satz 1 HGB zu bilden, wenn bei schwebenden Geschäften – insbesondere Absatzverträgen mit fixierten Entgelten – zum Abschlussstichtag ein Verlust droht. Dies ist regelmäßig dann gegeben, wenn der Erfüllungsaufwand des bilanzierenden Unternehmens, z. B. infolge externer Faktoren wie stark gestiegener Energie- oder Rohstoffpreise, den damit in Zusammenhang stehenden Ertrag übersteigt. Maßgeblich ist, ob der nach dem Abschlussstichtag aus dem gegenseitigen Vertrag noch zuerbringende Leistungsanteil des Unternehmens einen niedrigeren beizulegenden Wert aufweist als der entsprechende Gegenleistungsanspruch (sog. unausgeglichenes Geschäft). Ineinem solchen Fall besteht eine handelsbilanzielle Verpflichtung zur Bildung einer Rückstellung für den drohenden Verlust. Steuerlich gilt für Drohverlustrückstellungen hingegen ein Ansatzverbot. Die Prüfung hat auf Einzelvertragsbasis unter Berücksichtigung der tatsächlichen wirtschaftlichen Gegebenheiten am Bilanzstichtag (z. B. 30.06.2025 als Stichtag der Halbjahresfinanzberichterstattung) zu erfolgen.
Zudem können Sanktionen im Zuge des Ukrainekriegs oder der protektionistischen US-Handelspolitik potenzielle Haftungsrisiken begründen, für die Verbindlichkeitsrückstellungen erforderlich sein können, sollte gegen mögliche Handelsembargos verstoßen werden.
Darüber hinaus beeinflussen handelspolitische Spannungen auch den Wechselkurs, insbesondere USD/EUR. Wechselkursänderungen sind gem. § 253 Abs. 1 Satz 2 HGB bei der Bewertung von Rückstellungen zu berücksichtigen und können deren Höhe, je nach Richtung der Kursentwicklung, erhöhen oder mindern.
Umsatzrealisierung
Der maßgebliche Zeitpunkt der Umsatzrealisierung wird handelsrechtlich durch die Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung – und hierbei im Wesentlichen durch das Realisationsprinzip, das eine Komponente des Vorsichtsprinzips nach § 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB darstellt – bestimmt. Gewinne sind demnach nur dann zu berücksichtigen, wenn sie am Abschlussstichtag realisiert sind. Als Zeitpunkt der Umsatz- bzw. Gewinnrealisierung gilt die Leistungserbringung, da hierdurch – im Gegensatz zu anderen möglichen Zeitpunkten, wie dem Vertragsschluss oder dem Zahlungseingang des Schuldners – einerseits dem Vorsichtsprinzip Rechnung getragen wird und andererseits eine periodengerechte Erfolgsermittlung willkürfrei durchgeführt werden kann.
Unstrittig stellt der Risikoabbau eine unverzichtbare Voraussetzung für die Gewinnrealisierung dar. Um diesem Erfordernis gerecht zu werden, erfolgt die Umsatzrealisierung im Allgemeinen erst dann, wenn der zur Leistung verpflichtete Vertragspartner seine aus dem Vertrag resultierenden Pflichten vollständig erfüllt hat. Dies setzt voraus, dass der Anspruch des Leistenden auf die Gegenleistung als nahezu sicher angesehen werden kann. In der Regel ist dies der Fall, wenn beim Leistenden lediglich das Gewährleistungsrisiko und das Forderungsausfallrisiko verbleiben. Dies ist gegeben, wenn der Vertrag bis auf unwesentliche Nebenleistungen erfüllt wurde.
Das Gewährleistungsrisiko wird durch die Bildung entsprechender Rückstellungen berücksichtigt, während dem Forderungsausfallrisiko durch angemessene Wertberichtigungen Rechnung zu tragen ist. Die Erfassung unsicherer und nicht verfügbarer Gewinne wird ausgeschlossen, sobald durch die Erfüllungshandlungen des Leistenden die Situation erreicht ist, in der der Anspruch auf die Gegenleistung – abgesehen vom Forderungsausfallrisiko – als gesichert anzusehen ist. In der Praxis ist dieser Zeitpunkt üblicherweise mit dem Übergang der Preisgefahr auf den Kunden verknüpft.
Vor dem Hintergrund geopolitischer Unsicherheiten ist die Zahlungsfähigkeit der Kunden verstärkt zu prüfen. Bestehen Zweifel an der Einbringlichkeit einer Forderung, ist diese unter Berücksichtigung des Bedarfs an Einzelwertberichtigungen zu behandeln.
Aktualisierung von Angaben über Gegebenheiten am Abschlussstichtag
Während die aktuellen Gegebenheiten am Abschlussstichtag (Wertaufhellung) unmittelbar Einfluss auf die Bilanzierung und Bewertung nehmen, ist über die Ereignisse nach dem Stichtag (Wertbegründung), die bis zur Aufstellung des Zwischenabschlusses eingetreten sind, ebenso zu berichten. Wertbegründende Ereignisse unterliegen gem. § 285 Nr. 33 HGB einer Angabepflicht. Dies gilt nach HGB mindestens für mittelgroße und große Kapitalgesellschaften. Ereignisse, die nicht in der Bilanz selbst zu berücksichtigen sind, müssen im Rahmen eines sog. Nachtragsberichts dargestellt werden. Dabei sind die Art und die finanziellen Auswirkungen dieser Ereignisse anzugeben.
Entsprechende Vorgänge besitzen immer dann eine besondere Bedeutung, wenn diese dazu geführt hätten, dass die Lage der Gesellschaft anders dargestellt worden wäre, wären sie bereits vor dem Ende des Berichtszeitraums eingetreten. Die Beurteilung solcher Vorgänge ist in der aktuellen Situation höchst individuell vorzunehmen. Hinsichtlich der Angabepflicht im Anhang, insbesondere der Notwendigkeit, die finanziellen Auswirkungen solcher Ereignisse zu benennen, gestaltet sich eine konkrete Auskunft für die Bilanzierenden häufig schwierig. In diesem Fall sind Schätzungen vorzunehmen, wobei die zugrunde gelegten Annahmen entsprechend zu erläutern sind.
Going Concern
Die aktuellen, vielfältigen Risiken erschweren die Zukunftsbetrachtung, sorgen gleichzeitig jedoch für eine gesteigerte Bedeutung der Beurteilung der Unternehmensfortführung (Going Concern-Prämisse).
Die Einschätzung der Unternehmensfortführung gem. § 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB ist Voraussetzung und zwingend erforderlich für die Aufstellung eines HGB-Abschlusses. Die Geschäftsführung hat diese Beurteilung auf Basis interner Maßnahmen sowie der wirtschaftlichen, branchenspezifischen und geopolitischen Lage vorzunehmen (vgl. IDW RS HFA 17, IDW PS 270 n.F.). Die Beurteilung erfolgt dabei unter Berücksichtigung aller erkennbaren Risiken und Unsicherheiten über einen Prognosezeitraum von i.d.R. zwölf Monaten. Prognosen dürfen dabei keine hypothetischen „Als-ob“-Annahmen enthalten, sondern müssen auf Grundlage belastbarer Kennzahlen und durch Maßnahmen belegbar sein.
Sollten die aktuellen globalen Entwicklungen eine bestandsgefährdende Lage auslösen – etwa durch wegbrechende Absatzmärkte, gestiegene Energiepreise, Liquiditätsengpässe oder Sanktionsfolgen –, ist eine kritische Einschätzung erforderlich, und bei begründeten Zweifeln an der Fähigkeit zur Fortführung des Unternehmens muss dies offengelegt werden. Für den Fall, dass nicht mehr von Going Concern auszugehen ist, muss die Bilanzierung und Bewertung entsprechend angepasst werden.
Im Rahmen einer Zwischenberichterstattung muss die Fortführungsannahme auf der Grundlage aktualisierter Erkenntnisse überprüft werden, insbesondere dann, wenn sich die wirtschaftliche Lage seit dem letzten Jahresabschluss wesentlich verändert hat.
Ausblick
Die Halbjahresberichterstattung 2025 stellt eine Bewährungsprobe für Unternehmen dar. Werthaltigkeitsprüfungen auf der Aktivseite und die Bewertung von Rückstellungen auf der Passivseite stehen im Mittelpunkt, da sie die wirtschaftlichen Auswirkungen geopolitischer Unsicherheiten unmittelbar abbilden. Gleichzeitig setzen volatile Märkte, schwankende Kundenbonitäten und neue regulatorische Anforderungen die Finanzplanung der Unternehmen unter Druck. Vor allem deutsche Unternehmen mit US-Verflechtungen müssen zudem bspw. auch die Entwicklungen in der amerikanischen Steuerpolitik im Blick behalten, um rechtzeitig auf mögliche Belastungen zu reagieren.
Die allgemeinen wirtschaftlichen und geopolitischen Unsicherheiten finden ihren Niederschlag in der Bilanzierung, Bewertung und Berichterstattung der Unternehmen und müssen hinsichtlich der Prognose- und Planungsdaten angemessen berücksichtigt werden. Dies gilt für die Halbjahresberichte ebenso wie für alle weiteren unterjährigen Abschlussstichtage, zu denen bilanziert, bewertet und berichtet wird. Im Hinblick auf den Jahresabschluss 2025 muss rechtzeitig geprüft werden, welche Auswirkungen sich ergeben werden oder können. Hierbei ist auch auf eine zutreffende Berücksichtigung der Aspekte, die sich bereits unterjährig auswirken, zu achten.