Der BGH behandelt in seinem Urteil vom 09.01.2024 (II ZR 220/22) die Vertretungsmacht des Geschäftsführers. Handelt ein Geschäftsführer der Gesellschaft, so kann der Dritte grundsätzlich auf die Vertretungsmacht des Geschäftsführers vertrauen, wenn dieser im Handelsregister eingetragen ist. Dies gilt jedoch laut BGH nicht, wenn der Dritte positive Kenntnis von der Abberufung des Geschäftsführers hat oder ein Missbrauch der Vollmacht sich geradezu aufdrängt.
In dem vor dem BGH entschiedenen Fall war eine GmbH mit zwei Gesellschaftern im Bereich der Immobilienentwicklung tätig. Die GmbH erwarb eine Immobilie mit einem Verkehrswert von circa EUR 16 Mio. Dieses Objekt stellte den wesentlichen Vermögensgegenstand der GmbH dar. Auf einer zu einem späteren Zeitpunkt einberufenen Gesellschafterversammlung der Gesellschaft stimmte lediglich der Mehrheitsgesellschafter für die Abberufung des Geschäftsführers. Der Minderheitsgesellschafter und der abberufene Geschäftsführer bezweifelten hingegen die Wirksamkeit dieses Beschlusses. Einige Tage nach der Gesellschafterversammlung verkaufte der abberufene Geschäftsführer die Immobilie an einen Dritten. Der Käufer des Objektes gab an, er wusste, dass der Geschäftsführer abberufen worden war, allerdings habe er auch die Zweifel an der Wirksamkeit des Gesellschafterbeschlusses gekannt.
Der BGH entschied, dass die Vertretungsmacht des Geschäftsführers zum Zeitpunkt der Beurkundung aufgrund § 15 Abs. 1 HGB bestand. Gemäß des § 15 Abs. 1 HGB muss eine Gesellschaft im Handelsregister eingetragene und bekannt gemachte Tatsachen grundsätzlich gegen sich gelten lassen. Dies gilt auch für die Vertretungsmacht des Geschäftsführers. Ist ein Geschäftsführer nicht mehr vertretungsberechtigt, weil seine Bestellung als Geschäftsführer aufgrund eines Gesellschafterbeschlusses wirksam widerrufen wurde, aber ist dieser noch im Handelsregister als vertretungsberechtigter Geschäftsführer der Gesellschaft eingetragen, so darf der Dritte auf die Vertretungsmacht vertrauen, wenn der Geschäftsführer für die Gesellschaft tätig wird. Die Gesellschaft muss sich damit im Sinne des § 15 Abs. 1 HGB so behandeln lassen, als habe die Vertretungsmacht des Geschäftsführers noch fortbestanden. Denn solange die Abberufung des Geschäftsführers noch nicht im Handelsregister widergespiegelt wird, wird der Rechtsverkehr durch § 15 Abs. 1 HGB geschützt.
Hinweis: Die Rechtsprechung folgt einer Linie, die zuletzt auch das BSG mit Urteil vom 13.03.2023 (B 12 R 4/21 R) eingeschlagen hat. In Bezug auf die Liste der Gesellschafter urteilte das BSG, dass sich der sozialrechtlich maßgebende Umfang der Beteiligungsverhältnisse des Geschäftsführers an einer GmbH ausschließlich nach der Eintragung in der im Handelsregister aufgenommenen Gesellschafterliste richtet (vgl. hierzu unser Thema „Sozialversicherungsrechtliche Beurteilung von GmbH (Gesellschafter-)Geschäftsführern“).
Dem Dritten ist die Berufung auf das Handelsregister im Sinne des § 15 Abs. 1 HGB laut BGH allerdings dann verwehrt, wenn er positive Kenntnis von der wirksamen Abberufung des Geschäftsführers hat. Ein Kennenmüssen oder eine grob fahrlässige Unkenntnis genügen hingegen nicht. Im Rahmen der Beurteilung der positiven Kenntnis differenziert der BGH zwischen der Kenntnis von dem Abberufungsbeschluss und der Kenntnis von der wirksamen Abberufung. Da gegen einen Abberufungsbeschluss im Zweifel eine Beschlussmängelklage erhoben werden kann, verhindert die Kenntnis des Dritten von dem Abberufungsbeschluss nicht den Rechtsschein im Sinne des § 15 Abs. 1 HGB.
Des Weiteren führte der BGH in dem Urteil aus, dass die Grundsätze des Missbrauchs der Vertretungsmacht auch im Anwendungsbereich des Rechtsscheintatbestands des § 15 Abs. 1 HGB gelten. Schließt der mit Beschluss abberufene Geschäftsführer für die Gesellschaft ohne Zustimmung der Gesellschafter einen Kaufvertrag über eine Immobilie, die den einzigen wesentlichen Vermögensgegenstand der Gesellschaft darstellt, so missachtet er die im Innenverhältnis bestehenden Grenzen seiner nach § 15 Abs. 1 HGB als fortbestehend anzusehenden Vertretungsmacht. Diese Missachtung kann auch auf das Außenverhältnis durchschlagen. In der Regel trägt der Vertretene (hier: die GmbH) das Risiko einer missbräuchlichen Verwendung der Vertretungsmacht. Allerdings wirkt sich der Missbrauch dann im Außenverhältnis aus, wenn die Grenzen des rechtlich Tragbaren überschritten werden. Musste sich dem Dritten geradezu aufdrängen, dass der Vertreter seine Vertretungsmacht missbraucht, so ist sein Vertrauen auf den Rechtsschein gemäß § 15 Abs. 1 HGB nicht schutzwürdig. Nicht zweifelsfrei feststellbar war für den BFH indes, ob der Dritte einem evidenten Rechtsirrtum über die Notwendigkeit eines Beschlusserfordernisses unterlag. Die Sache wurde zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
In der Sache verdient die Entscheidung Zustimmung. Sie bestätigt den durch § 15 HGB gewährten Schutz des Rechtsverkehrs und die entwickelten Rechtsgrundsätze zum Missbrauch der Vertretungsmacht. Solange der Dritte nicht positiv weiß, dass der Geschäftsführer wirksam abberufen wurde oder sich nicht mindestens groß fahrlässig davor verschließt, dass die Vertretungsmacht des Geschäftsführers nicht besteht, ist die Vertretung der Gesellschaft durch den Geschäftsführer wirksam.